HIer kommt wieder eine neue Story von mir. An ihr schreibe ich schon sehr lange und es ist noch kein Ende abzusehen. Zur Zeit wird die Story von Grund auf überarbeitet.

The black Horse

Bevor ich mit meiner Erzählung beginne, möchte ich mich erst einmal vorstellen. Ich bin Abby, 13 Jahre und bin (leider) kein Einzelkind. Ich habe noch einen Bruder, Timo, der ein Jahr jünger ist als ich. Unsere Eltern sind geschieden, sie verstehen sich jedoch noch ganz gut, sodass wir Kinder nicht darunter leiden.
Wir saßen bei Miriam zu Hause um den Küchentisch. Die Fenster waren zugezogen und auf dem Tisch brannte eine lange schwarze Kerze. In der Mitte des Tisches hatten wir ein großes Pappstück gelegt, welches die Buchstaben des Alphabets, die Wörter Ja und Nein und die Zahlen von 0 bis 9 trug. In der Mitte der Buchstaben und Zahlen, die zu einem Kreis angeordnet waren, stand ein Glas. Wir hatten alle einen Zeigefinger auf das Glas gelegt und Miriam begann mit der ersten Frage. „Werden alle von uns dicht halten?“ Das Glas bewegte sich langsam. „Ja“ lautete die Antwort. Wir machten das Gläserrücken noch nicht sehr lange. Miriam hatte uns drauf gebracht, sie meinte es wäre wirklich cool. Wir ließen uns also von ihr überreden und trafen uns fast jedes Wochenende bei ihr in der Wohnung. Mir kam es erst ziemlich unheimlich vor, doch jetzt verspürte ich nicht das kleinste Anzeichen von Unruhe. Ich wollte gerade die nächste Frage stellen, ob uns Gefahren in Zusammenhang mit der Gruppe drohten, als wir Geräusche im Flur hörten.
Miriams Mutter kam heim. Hätte sie sich um fünf Minuten verspätet, hätten wir wahrscheinlich gewusst, dass uns Gefahr drohen würde. Doch so blieb die Frage unbeantwortet. „Scheiße. Ich hätte nicht gedacht, das sie so früh kommt.“ Schnell versuchten wir die Pappe verschwinden zu lassen und die Kerze auszublasen. Schon betrat Miriams Mutter die Küche. „Was ist denn hier los?“ „Hi Mum.“, erwiderte Miriam und versuchte ruhig zu klingen. „Ihr habt doch nichts angestellt während ich weg war oder?“, fragte sie. „Nein, wie kommst du denn da drauf?“, fragte Miriam ganz unschuldig. „Bei dir kann man das nie wissen.“ Wir folgten Miriam in ihr Zimmer und als sie die Tür geschlossen hatte meinte sie mit gedämpfter Stimme: „So ein Mist.“ „Meinst du, wir bekommen Ärger?“, fragte ich. Sie sah mich ernst an. „Mensch Abby, das wird schon nicht so schlimm.“ „Machen wirs trotzdem weiter?“, fragte Linda. „Denk schon.“ Miriam war eine Art Anführerin für uns. Unser Tagesablauf war streng geregelt, dennoch bekamen unsere Eltern davon nichts mit. Morgens, noch bevor ich geweckt wurde, betete ich vor meinem kleinen „Altar“, der nichts weiter war als ein Bild von einem schwarzen Pferd. „The black Horse“ nannte sich die Vereinigung, der Miriam nun schon eine Weile angehörte. Linda und ich gehörten noch nicht lange dazu. In der Schule war „The black horse“ durchaus bekannt. Die sektenartige Vereinigung erhielt großes Interesse.
Ich ging nach dem Zwischenfall mit Miriams Mutter nach hause. Auf dem Weg war ich ziemlich abgelenkt. Der Vorfall schwirrte mir noch im Kopf umher. Meine Eltern waren noch nicht da. Ich ging in mein Zimmer und kniete mich vor das Bild mit dem schwarzen Pferd und fing an zu beten. Ich war so in mein Gebet vertieft, dass ich nicht bemerkte, wie mein Bruder nach hause kam. Er kam in mein Zimmer und sah mich auf dem Boden kniend beten. Als ich ihn bemerkte, war ich geschockt. „Was hast du da gemacht?“, fragte er dann. „Es sah aus als ob du dieses Bild angebetet hast.“ „Timo das sah nur so aus.“, versuchte ich ihn zu beruhigen. „Ich hab in Wirklichkeit nur nachgedacht.“ „Abby, du bist in letzter Zeit oft so komisch.“ „Timo! Halt die Klappe Okay?! Ich will nicht das du zu Tante Alex rennst und ihr steckst was mit mir los ist.“ „Wieso nicht? Ich merk doch dass du Schiss hast.“, er lächelte. Es war ein fieses Lächeln. „Er drehte sich um, doch bevor er mein Zimmer verlassen konnte, war ich bei ihm und schlug die Tür mit einem Knall zu. „Abby, was soll das?“ Ich schubste ihn auf mein Bett. „Du sagst niemandem etwas Timo, sonst kann ich ganz schön ausrasten.“ Mit Genugtuung sah ich, dass er Angst hatte. Ich ließ ihn los und er ging. Ich war mir sicher, er würde niemanden etwas verraten.
In den folgenden Tagen achtete ich sehr darauf, dass ich von niemandem bei meinen Gebeten gestört wurde. An einem Freitag kam dann auch noch Tante Alex zu Besuch. Auch das noch- bei ihr musste ich doppelt vorsichtig sein. Sie war Kripobeamtin beim K11. Tante Alex kam und ich mimte die liebe Nichte. Sie sollte nichts mitbekommen. Timo erwähnte nicht mit einem Wort, dass er mich ertappt hatte. Wie üblich wollte sie alles von mir wissen. Wie es mir denn so ging bis zum Thema Schule. Diese Fragerei fand ich ziemlich ätzend, doch ich ließ es mir nicht anmerken. Ich entschuldigte mich kurz und gab vor mal aufs Klo zu müssen. In Wirklichkeit ging ich nach nebenan in mein Zimmer. Ich hatte meine Tante endgültig satt. Dennoch musste ich vorsichtig sein. Ich kramte unter meinem Schreibtisch herum. Irgendwo musste ich doch mein Tagebuch versteckt haben. Dann endlich fand ich es in einem versteckten Regal unter ein paar Büchern. Mein geliebtes Tagebuch. Ich schrieb regelmäßig Einträge von meinen Gebeten bzw. dem Gläserrücken. Das durfte ja keiner mitbekommen und deshalb musste ich es auch gut verstecken. Es war ein sehr schönes Tagebuch, das ich mir selbst gekauft hatte. Es war schwarz und ich hatte drei Buchstaben darauf geschrieben. TBH (The black Horse) Unseren Guru kannten wir nicht wirklich. Wenn wir ihn sahen, hatte er seine Kapuze weit ins Gesicht gezogen und wir durften ihm auch nicht zu nahe kommen. Ich schreckte hoch, als Tante Alex auf einmal bei mir im Zimmer stand. „Abby kommst du dann? Deine Mutter hat das Abendessen fertig.“ Ihr blick fiel auf mein Tagebuch, welches ich in der Hand hielt. „TBH? Ist das nicht ne Band? , fragte sie. Ich nickte. TBH gab es als Band und als Sekte, damit der Name nicht so viel Aufmerksamkeit erregte. Die Band war sehr berühmt, doch die Sekte kannten nur wenige. Ich folgte ihr ins Wohnzimmer. Der Tag verlief eigentlich ganz normal.
Am nächsten Tag hatten wir ein Treffen. Alle TBH Mitglieder trafen sich in der Schlossruine auf dem Drachenfels. Der Guru war noch nicht anwesend, was ganz normal war. Um mich herum liefen die anderen umher, unterhielten sich, oder saßen auf Mauern herum. An der Feuerstelle wurde ein großes Feuer entzündet und der Guru erschien. Sofort schlug die Atmosphäre um. Diejenigen, die noch nicht an der Feuerstelle waren, kamen nun schnell herbei und fielen auf die Knie. Es wurde still und alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Ich kniete zwischen Linda und Miriam. „Willkommen Freunde! Heute haben wir uns hier versammelt um unseren Gott der Götter, den Allerheiligsten zu ehren.“ Die ältesten TBH Anhänger erhoben sich von ihren Plätzen und stellten sich um das Feuer. Die Lücken, die sie in dem großen Kreis hinterlassen hatten, wurde geschlossen, sodass sich zwei Kreise gebildet hatten. Ein äußerer und ein innerer. In ihren Schwarzen Gewändern sahen die Kuttenträger geisterhaft aus. Sie begannen eine Art Tanz. Wir hockten auf dem Boden und sahen ihnen dabei fasziniert zu.
Nachdem sie ihren Tanz beendet hatten, fielen sie alle auf die Knie und wir beteten gemeinsam. Der Guru hatte ein Gespür dafür, wer ihm treu ergeben war und wer nicht. Er ging langsam vor uns entlang. Vor einigen blieb er stehen. (wir knieten immer noch auf dem Boden und wagten diesmal nicht aufzusehen). Von einem Jungen, den ich nur vom sehen kannte, war er sehr enttäuscht. Er gab ihm dennoch eine Chance. Ich wagte kaum zu atmen, als der Guru schließlich auch vor mir stehen blieb. „Sieh zu mir auf.“ Langsam sah ich hoch in das vermummte Gesicht. „Abby, du hast es von uns am schwersten. Der Gott hat dir eine schwere Last auferlegt, die es dir beinahe unmöglich macht, die Regeln zu befolgen.“ Ich wusste, dass er Tante Alex meinte. „Dennoch bin ich erfreut, wie du dich bemühst, den Regeln Folge zu leisten.“ Er küsste mich auf die Stirn. Dann ging er weiter. Ich war etwas durcheinander. Normalerweise lies er solchen Körperkontakt bei den einfachen Mitgliedern, wo ich dazugehörte nicht zu. Ich bemerkte wie er unter anderem auch bei Miriam stehen blieb. Ich konnte aber nicht verstehen, was er ihr sagte. Nachdem der Guru wieder seinen Platz eingenommen hatte, kam der spannendste Teil der Versammlung- die Opferung. Dazu wurde ein schwarzes Pferd (wie es jeder als Bild im Zimmer als Altar hängen hatte) herbeigeführt. Meistens war es ein Hengst. Er war ziemlich nervös. Zwei TBH-Anhänger waren nötig, um ihn einigermaßen ruhig zu halten. Dieses Privileg war jeodch nur den engsten Vertrauten gestattet. Der Guru fing leise murmelnd an das Pferd zu beschwören. Nach kurzer Zeit stimmten alle mit ein. Langsam wurde das Pferd ruhig, bis es schließlich seinen Widerstand aufgab und friedlich stehen blieb. Es spitzte die Ohren. Langsam ging der Guru auf den Hengst zu. Anstatt vor ihm zurückzuweichen, kam es bereitwillig ein paar Schritte näher, bis es vor dem Guru stehen blieb und den Kopf senkte. Langsam tätschelte er den Hals des schönen Tieres. Dieses schnaubte zufrieden durch die Nüstern.
Die Opferung wurde gleichzeitig mit der Aufnahme neuer Mitglieder verbunden. Diesmal waren es zwei Neue. Ein Junge und ein Mädchen. Beide waren vielleicht um die 15 und hatten weiße Gewänder an. Ich konnte mich noch gut an meine Aufnahmeprüfung erinnern, als ob es gestern gewesen wäre.
Miriam holte Linda und mich von der Bushaltestelle ab. Wir beide waren etwas nervös. Dann ging sie mit uns durch ein Waldgebiet ganz in der Nähe. Dort wartete ein Junge auf uns (Wir wussten, dass er Stephan hieß.) Mit ihm fuhren wir hierher. Dann wurden wir getrennt. Linda sollte mit zwei älteren Jungen mitgehen. Die meisten hatten schwarze Gewänder an. Auch mich begleiteten zwei Jungen in einen Raum. Ich wurde angewiesen meine Schuhe auszuziehen. Einer reichte mir ein weißes Gewand, welches ich anstelle meiner Kleidung überziehen sollte. Sie ließen mich allein, während ich mich umzog. Bevor sie den Raum verlassen hatten, zündeten sie zwei komische schwarze Kerzen an. Von da an weiß ich nichts mehr…
Die Kerzen müssen eine berauschende Wirkung auf einen haben. Als erstes wurde das Mädchen auf den Hengst gesetzt. Jemand schlug mit einer Peitsche. Zuerst scheute das Tier.
Dann setzte es sich in Bewegung. Mit dem Mädchen auf dem Rücken lief er ein paar Runden ums Feuer. Wir hatten uns in der Zeit alle so weit es ging, von der Feuerstelle zurückgezogen, um nicht unter die Hufe des Tieres zu geraten. Die schwarzen Kuttenträger erhoben sich und zogen den Kreis, den sie gebildet hatten enger. Dann zwangen sie das Tier durch das Feuer. Keiner der beiden „Neulinge“ verzog eine Miene. Das Mädchen wurde vom Pferd geholt. Der Junge ritt ebenfalls. Als auch dieser samt Tier durch das Feuer gejagt worden war, wurde das Pferd eingefangen. Nun hatten beide wieder festen Boden unter den Füßen. Es roch nach versengtem Fell. Der Hengst war nun erschöpft. Nacheinander wurden beide vor den Guru geführt. In respektvollem Abstand knieten beide nieder. Jeder, der aufgenommen wurde, musste etwas zahlen und das ging bei TBH nur mit Blut. Ich begutachtete meine Narbe am Zeigefinger. Sie war nicht größer als 5mm.
Die anderen um mich erhoben sich allmählich. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass unser Guru die Zeremonie beendet hatte. Ich sah mich nach Linda und Miriam um, die nun nicht mehr bei mir waren. Ein schwarzer Kuttenträger kam auf mich zu. „Der Meister möchte nochmals mit dir sprechen.“ Ich war erstaunt darüber. Was wollte unser Meister von mir? Dennoch folgte ich dem Kuttenträger ins Innere der Ruine. Wir gingen durch Gänge, in denen ich noch nie zuvor gewesen war. Wir gingen durch ein Wirrwarr von Gängen, sodass ich bald nicht mehr wusste, wie es hinausging. Vor einer großen Holztür blieben wir stehen und mein Begleiter klopfte. Nachdem wir hinein gebeten worden waren, trat ich vor unseren Guru und kniete vor ihm nieder. „Abby, ich möchte mit dir über deinen Platz in der Gruppe und über deine Tante sprechen. Ich weiß, das das zweite dich anwidert, aber dennoch muss ich mit dir darüber sprechen.“ Ich nickte zum Zeichen, dass ich ihn verstanden hatte. „Du bist nun schon etwas länger bei uns, aber du stehst immer noch weit außerhalb, des Kreises wo ich dich gern sehen würde.“ „Ich versteh nicht ganz…Meister“ „Abby, lass es mich so erklären: Die beiden die heute aufgenommen wurden, stehen außerhalb des Kreises. Der Neulinge sozusagen. Du, stehst momentan bei den einfachen Mitgliedern. Danach kommt der Kreis der Jünger. Dort gibt es auch noch einmal Unterschiede. Die einfachen Jünger und die Oberjünger. Der letzte Kreis sind die schwarzen Kuttenträger. Wie du sicherlich bemerkt hast, stehen sie mir am nächsten, während ein Neuling zum Beispiel einen größeren Abstand vor mir haben muss, wie beispielsweise ein Oberjünger. Und nun zu dir: Ich hätte dich gern im Kreis der Jünger gesehen- zunächst bei den niedrigen Jüngern. Beim nächsten Treffen wirst du in den Kreis der Jünger aufgenommen werden. Näheres erfährst du am Tag deines Aufstiegs. Nun zu deiner Tante. Die nächste Zeit wird für dich sehr schwer werden. Ich bin der Meinung, dass du noch zum nächsten Treffen kommst und dann etwas Abstand von der Gruppe nimmst. Es wäre das Beste für dich. Du willst sicherlich nicht, dass deine Tante uns auf die Schliche kommt.“ „Nein, das nicht. Meister, wenn ich von der Gruppe Abstand nehmen soll, wie kann ich ihr da noch von Nutzen sein?“ „Indem du verdeckt Mitglieder anwirbst oder versuchst mindestens einmal am Tag zum Allmächtigen zu beten.“ „Meister, darf ich erfahren, wann das nächste Treffen ist?“, fragte ich nervös. „In einer Woche.“ Ich überlegte fieberhaft, ob es günstig wäre wieder hierher zu kommen. Die Zeit passte perfekt. Mein Bruder war bei einem Freund und meine Eltern mussten arbeiten. Und Tante Alex sicher auch. Nachdem Gespräch mit dem Guru führte mich der schwarze Kuttenträger wieder aus der Ruine. Ich konnte es nicht so wirklich glauben, dass ich zu den Jüngern aufgenommen werden sollte.
Als ich nach Hause kam, wartete meine Mutter schon auf mich. „Warst du wieder bei Miriam?“, fragte sie. „Ja, wir hatten uns wieder verabredet.“ „War es schön?“ „Ja, wir ham ne DVD geguckt.“ Damit gab sich meine Mutter zufrieden.
Ich ging hinauf in mein Zimmer. Gelangweilt saß ich an meinem Schreibtisch. Ich holte mein Tagebuch hervor und schrieb einen Eintrag.

 
Liebes Tagebuch!
Heute haben wir uns wieder versammelt. Wo, weist du ja bereits. Diesmal sind wieder zwei dazugekommen. ER hat mich auf die Stirn geküsst und gemeint, dass er stolz auf mich sei. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er es wirklich getan hat. Es erschien mir so unrealistisch, wie in einem Traum. Nach dem Treffen wollte ER das ich noch mal zu ihm komme. Ich soll beim nächsten Mal in den inneren Kreis aufgenommen werden. Ich kann es noch gar nicht richtig glauben. ER meinte auch, dass ich in nächster Zeit Abstand von ihnen halten sollte. Es wäre das Beste für sie und für mich. Warum brauch ich dir nicht zu sagen. Ich kann ihnen dennoch von Nutzen sein. Das meinte zumindest ER.
Ich muss dir noch etwas sagen. Am Freitag war meine Tante wieder bei uns. Sie hat mitbekommen, wie ich dich in den Händen hielt. Sie fragte ob TBH eine Band sei. Ich hab die frage mit JA beantwortet. Schließlich soll sie nicht erfahren, was wirklich dahinter steckt, denn dann sind wir alle dran.
A.

 
Als ich fertig war, legte ich es wieder sorgfältig weg. Ich wollte nicht riskieren, dass Tante Alex noch einmal darauf stieß. Es war bereits nachmittags. Unsere Treffen auf dem Drachenfels dauerten meistens den ganzen Vormittag. Da ich nicht so wirklich Bock hatte faul in meinem Zimmer rumzusitzen, beschloss ich etwas raus zugehen. Timo wollte mir Gesellschaft leisten, obwohl ich lieber allein geblieben wäre. Während des Spazierganges sprachen wir nicht viel miteinander. Ich hing meinen Gedanken nach. So bemerkte ich nicht, dass Tante Alex auf uns zukam. Sie wurde von einem etwas jüngeren Mann begleitet. Ich schenkte ihm anfangs keine große Beachtung. „Hi Ihr beiden.“, begrüßte uns unsere Tante. „Hallo.“ „Das ist Branco, mein Kollege.“, stellte sie uns ihren Begleiter vor. Er wusste anscheinend schon wer wir waren. Mit einer Ausrede, dass ich noch etwas Wichtiges zu erledigen hatte, ging ich gefolgt von Timo weiter. Er hatte mich anscheinend durchschaut. „Was hast DU denn schon wichtiges vor?“, fragte er sarkastisch. „Das muss ich dir ja nicht unbedingt sagen.“, gab ich zurück. „Gibs zu, Du wolltest Tante Alex bloß loswerden. Oder hast du dich etwa in ihren Kollegen verguckt?“, erwiderte Timo. „Was erzählst du da für einen Blödsinn?Das stimmt gar nicht.“, erwiderte ich etwas sauer. „Abby, ich kenn dich doch.“ Das stimmte. Er kannte mich, aber zum Glück nicht so gut.
 
Die nächsten Tage verliefen für mich normal. Keine Begegnungen mit meiner Tante (worüber ich natürlich froh war) und keine Anspielungen von meinem Bruder. Je näher der Tag des nächsten Treffens rückte, desto aufgeregter wurde ich. Äußerlich gab ich mich cool, doch meine Knie waren ziemlich weich. Ich wollte mich am Tag des nächsten Treffens mit Linda und Miriam an der Bushaltestelle treffen. Von da an, wollten wir gemeinsam zum Drachenfels. Ich hatte den beiden noch nicht erzählt, dass ich in den inneren Kreis aufgenommen werden sollte. Ich hatte es auch nicht vor. Sie sollten es erst erfahren, wenn es soweit war. Am Eingang empfingen mich zwei schwarze Kuttenträger und baten mich mit ihnen zu kommen. Linda und Miriam blickten mir verwirrt nach. Ich lächelte den beiden nur aufmunternd zu und folgte den beiden Kuttenträgern in das Innere der Ruine. Sie brachten mich zum Guru. Ich kniete vor ihm nieder. „Abby, du weißt was dir heute bevorsteht.“, begann er. „Ich habe es noch einmal gründlich durchdacht und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass du es würdig bist in den inneren Kreis aufgenommen zu werden.“ Ich wartete gespannt, wie er fortfahren würde. Mein Herz raste vor Aufregung. „Die beiden werden dich jetzt für die Aufnahme vorbereiten.“, er deutete auf die schwarzen Kuttenträger, welche mich zu ihm geführt hatten. Ich erhob mich, verbeugte mich noch einmal leicht und folgte dann den beiden hinaus. Ich wurde wieder in einen kleinen Raum geführt. Sie wiesen mich an meine Schuhe auszuziehen. Diesmal bekam ich eine Art schwarzen Mantel, der sich jedoch gänzlich von den Kutten der anderen unterschied. Diesen sollte ich jetzt immer tragen, wenn ich zum Treffen kam. Sie ließen mich noch etwas allein. Diesmal wurden keine schwarzen Kerzen angezündet. In einer Ecke des Raumes hing ein Gemälde von einem wunderschönen schwarzen Pferd. Ich kniete vor dem Bild nieder und bete.
Als ich fertig war, kamen die Kuttenträger wieder und begleiteten mich hinaus, wo die anderen bereits warteten. Ich suchte die Umstehenden nach Miriam und Linda ab, konnte sie jedoch nicht entdecken. Das machte mich noch nervöser, als ich ohnehin schon war. Meine beiden Begleiter knieten mit mir vor dem Guru nieder. Auf den Geheiß des Gurus hin stand ich wieder auf. Ich kam mir etwas komisch vor. Mir war klar, dass ich als Jünger eine höhere Stellung haben würde. Welche Rechte ich damit hatte, wusste ich nicht so genau, der Guru würde es mir sicher noch sagen. Es folgte nun, der übliche Ablauf. Erst wurde gebetet, dann kam das Pferd und es wurde ein Mitglied aufgenommen…und dann war ich an der Reihe. Während der ganzen zeremonie konnte ich mich nicht konzentrieren. Ich fühlte mich schlapp. Hoffentlich kipp ich nicht um, ging es mir durch den Kopf. Der Guru geleitete mich hinüber zu dem Tier, das völlig erschöpft war. Ich streichelte vorsichtig die Nüstern. Es schnaubte. Ich stand neben den Tier. Alle anderen um mich herum hatten die Köpfe gesenkt. Ich blickte unsicher einen meiner Begleiter an. Ich wusste nicht, ob sie mir ansahen, dass ich mittlerweile leichenblass geworden war.Was sollte ich jetzt tun? Schlagartig war die Stimmung umgeschlagen. Ich war nervöser geworden und mir wurde auf einmal ganz heiß. Ich wusste nicht mehr wo ich war…hatte die Orientierung verloren….Ich merkte nur noch wie ich fiel, doch bevor ich auf den Boden aufschlagen konnte, schlangen sich kräftige Arme um mich. Kurz spürte ich einen heftigen Schmerz am Kopf, dann verlor ich endgültig das Bewusstsein.

 

Als ich wieder zu mir kam, lag ich in der Ruine. Ich war klitschnass und ich fror. Ich hörte aufgeregtes Stimmengemurmel. Jemand in einer schwarzen Kutte beugte sich über mich. Man hatte mir ein nasses Tuch auf die Stirn gelegt und mich mit warmen Decken zugedeckt. Ich versuchte mich vorsichtig aufzurichten, doch ich wurde mit sanfter Gewalt wieder hinuntergedrückt. „Bleib liegen, du bist umgekippt. Hattest wahrscheinlich einen Kreislaufzusammenbruch.“ Kreislaufzusammenbruch? Was wenn meine Mutter das raus finden würde?
Später bekam ich mit, dass ich ne Platzwunde hatte. So ein Mist aber auch. Die schwarzen Kuttenträger versorgten mich so gut es ging. Sogar der Guru sah nach mir. Er befahl ihnen, uns allein zu lassen. Als der Letzte gegangen war, sah er auf mich hinab. Sein Gesicht blieb trotzdem verborgen. Ich spürte dass er wütend war. Ich hatte alles vermasselt. Meine Mutter würde unangenehme Fragen stellen, wo ich die Verletzung her hatte. Ob Miriam mir beistehen würde? Schließlich war sie ja mein Alibi für diese Zeit. „Abby…“, ich zucke zusammen. Mich plagte ein schlechtes Gewissen. Er schien es zu spüren. Ich hatte auf einmal den Wunsch mich unsichtbar machen zu können. Und eine Welle von Übelkeit stieg in mir auf. Ich versuchte mich zusammen zu reißen so gut es ging.
Gelassen sprach er weiter. Mir wäre es lieber gewesen, er hätte geschrien. „Obwohl du keine Schuld daran hast, was vorgefallen ist, wirst du uns dennoch Schwierigkeiten bereiten.“ Ich hatte ein ungutes Gefühl und erwartete jeden Moment, dass er mich aus der Sekte verbannen würde, doch das tat er keineswegs. „Jetzt denkst du, ich würde dich verbannen oder dir eine Strafe auferlegen, aber das tue ich nicht. Ich werde Miriam beauftragen lassen, dich in nächster Zeit nicht aus den Augen zu lassen. Sie soll sich auch etwas um dich kümmern und darauf acht geben, dass keiner aus deinem näheren Umfeld verdacht schöpft.“ Ich versuchte mich etwas aufzurichten und tief Luft zu holen. „Nein bleib liegen. Wir wollen nichts überstürzen. Ich hol letzt die anderen wieder zu dir.“ Als er draußen war, rief er den anderen etwas zu. Ich konnte nicht verstehen was. Zwei Kuttenträger betraten den Raum. „Deine Aufnahme wird später wiederholt. Wir sollen dich jetzt mit den neuen Regeln vertraut machen.“ Er stockte kurz und musterte mich. „Ist alles okay?“ Nicht wirklich, das siehst du doch, dachte ich. Doch ich nickte leicht. „Als Jünger bekommst du ein grau-schwarzes Gewand was du ja bereits trägst. Zu jedem Treffen wirst du es dann tragen. Nach jedem Treffen gibst du es wieder ab. Das ist sicherer, als wenn du es mit nach Haus nimmst. Des Weiteren darfst du dem Guru etwas näher kommen, allerdings noch nicht so nahe wie wir.“, er wandte sich an den Anderen. „Genau. Du darfst nun auch an den Sitzungen der Jünger teilnehmen. Diese finden heimlich und isoliert von den anderen Mitgliedern statt. Du musst dich mit den anderen Jüngern in Verbindung setzen. Sie können dir sagen, wann wieder eine Sitzung stattfindet. Selbst wir wissen es nicht. Sonst gibt es dazu erstmal nichts zu sagen.“ Der Andere wandte sich jetzt wieder an mich: „Geht’s dir jetzt einigermaßen besser?“ „Ja geht schon.“, antwortete ich und unterdrückte eine erneut aufsteigende Welle von Übelkeit. „Eine Frage hab ich aber noch.“ Sie sahen mich erwartungsvoll an. „Der Meister sagte mir, dass ich in nächster Zeit Abstand von der Gruppe nehmen soll und…“ „Du hast Bedenken, wann die Wiederholung deiner Aufnahme ist?“ Ich nickte verlegen. „Mach dir keine Sorgen. Wir finden schon eine Zeit, wo es klappt.“ Miriam betrat nun den Raum. Ich durfte nun mit ihr gehen. Sie sprach noch einmal kurz mit einem Kuttenträger, während ich mich umzog. Als ich fertig war, verließen wir die Ruine.
 
Die Anderen waren alle schon gegangen. Im Wald wartete Linda auf uns. „Wieder alles okay bei dir?“, fragte sie und sah mich prüfend an. Ich konnte meinen Freundinnen ansehen, dass sie mir nicht glaubten. Meine Knie zitterten und ich war immer noch kreidebleich. Am nächsten Baum übergab ich mich. „Abby was ist los? Hast du was falsches gegessen?“, fragte Linda. „Die Aufregung“, brachte ich mühsam hervor. „Ich ruf jetzt meine Mum an.“, sagte Linda. „Sie soll uns nach Hause fahren. Du kannst so unmöglich nach Hause laufen. Ich konnte ihr nicht widersprechen. Kurze Zeit später fand ich mich im Auto von Lindas Mutter wieder und wir fuhren nach Hause. Meine Mum war total besorgt als sie mich mühsam aus dem Auto steigen sah. Miriam erklärte ihr kurz meine Lage und die Gründe dafür. Dann bettelten Miriam und Linda so lange, bis sie bei mir bleiben durften. Ich unterstützte sie dabei. Als ich oben in meinem Zimmer im Bett lag und Miriam und Linda sich die Stühle zurecht gestellt hatten, kamen sie wieder auf die Zeremonie zu sprechen.
„Warum hast du uns nicht erzählt, dass du bei den Jüngern aufgenommen wirst?“, fragte Miriam mich. „Weil ich nicht wusste, wie ihr das aufnehmt.“, erwiderte ich. „Glaubst du wirklich wir würden dir Vorwürfe machen?“, fragte Linda. „Wir haben uns mächtig Sorgen gemacht, als du zusammengebrochen bist. Die schwarzen Kuttenträger mussten den Hengst beruhigen, sonst wäre er wahrscheinlich auf dich losgegangen. Der Guru hat dann die Zeremonie sofort beendet und die anderen Kuttenträger, die sich nicht mit dem Hengst beschäftigt haben, haben uns aus der Ruine gescheucht. Ich hab versucht, mit rein zukommen, um nach dir zu sehen, aber sie haben nur Miriam durchgelassen.“ Linda wurde unterbrochen, als mein Hand klingelte. Ich hatte eine SMS bekommen mit einer Nummer. „Ruf Jay an. ER weiß über die Treffen Bescheid. Lösch diese Nummer sofort nach dem Anruf.“ Ich zeigte den beiden die SMS. „Stimmt ja. Du darfst an den Jüngertreffen teilnehmen. Ich hab mich schon immer gefragt, was dort besprochen wird.“ , erwiderte Linda. „Ich glaub nicht, dass ich es euch erzählen darf.“, entgegnete ich. „Du wirst es uns aber erzählen!“ „Linda wenn ich es nicht darf, dann darf ich es auch nicht. Warum glaubst du, werden die Jüngertreffen isoliert von den anderen Mitgliedern abgehalten?“, fragte ich. „Damit niemand erfährt was dort vor sich geht.“ „Ich kann mir bis jetzt noch nicht vorstellen, was dort besprochen wird.“ „Vielleicht geht es ja um die Zeremonien. Wann welche Zeremonie abgehalten wird, wer wann aufsteigt...“ „Linda, glaubst du wirklich die einfachen Jünger wissen das? Ich glaube eher, dass die schwarzen Kuttenträger diejenigen sind, die über die Zeremonien Bescheid wissen“ „Du wirst es ja bald herausfinden.“ „Willst du diesen Jay nicht mal anrufen?“, fragte Linda. „Nun lass Abby doch erst einmal wieder gesund werden.“, ging Miriam dazwischen. „Hey, ich fühl mich schon wieder einigermaßen okay. Ich werd Jay jedoch erst anrufe, wenn ich alleine bin. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich euch sofort raus schmeiße.“ Miriam lächelte. „Du weißt aber schon, dass wir uns während den Zeremonien voneinander fern halten müssen. Davor und danach können wir wieder zusammen hängen. Du hast glaub ich sogar die Befugnis und Befehle zu erteilen, da du nach der Wiederholung deiner Aufnahme höher stehst als wir.“ Wir unterhielten und noch eine Weile. Dann verabschiedeten Linda und Miriam sich und gingen nach Hause.
Meine Mum sah noch einmal kurz nach mir. Dann lies auch sie mich in Ruhe. Ich nahm mein Handy und rief bei Jay an. Nach dreimaligem Klingeln ging er ans Telefon. „Was gibt’s?“ Von der Stimme her, hörte er sich älter an, als ich gedacht hatte. „Abby hier. Es geht um die Treffen. Mir wurde gesagt, dass du dafür verantwortlich bist.“ „Ja das ist richtig. Ich nehme an du bist Diejenige, die heute aufgenommen werden sollte und dann zusammengeklappt ist?“ Mir war es ziemlich peinlich und ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht kroch. Ich war froh, dass er mich nicht sehen konnte. „Ja das stimmt. Ich wollte fragen, wann das nächste Treffen ist und ob ich irgendwas beachten muss.“ „Das nächste ist in vier Tagen auf dem Drachenfels und erzähl niemanden davon. Auch nicht den einfachen Mitgliedern.“ Wie ich es mir gedacht hatte. Niemand sollte etwas von den Treffen erfahren. Auch nicht Linda und Miriam. Ich nahm mir vor, mich nicht von beiden unter Druck setzen zu lassen. „Alles Weitere wirst du an dem Tag erfahren. Und mach dir keine Sorgen, es ust alles abgesprochen. Obwohl du offiziell noch nicht zu unserem Kreis gehörst, darfst du schon zum nächsten Treffen kommen.“ „Okay.“ „Ich seh dich Donnerstag.“ Damit war das Gespräch beendet.
Am Donnerstag ging ich nach der Schule gleich zum Drachenfels. Meine Mutter wusste Bescheid, dass ich später kommen würde, da ich sie in dem Glauben gelassen hatte, ich würde Nachhilfe bekommen. Ich war erstaunt, wie viele Jünger es doch bei „The black Horse“ gab. Normale und Oberjünger waren anwesend. Ich zog mich schnell um und gesellte mich zu den anderen. Ein großer Saal war für dieses Treffen vorgesehen, in dem ich noch nie zuvor gewesen war. Viele saßen an den Wänden. Ich setzte mich zu ein paar Mädchen. Ein Großgewachsener Junge kam in den Saal. Das musste Jay sein. Alle um mich herum standen auf. Ich erhob mich ebenfalls. Als Jay seinen Platz in der Mitte eingenommen hatte, setzten wir uns wieder. Jay begrüßte uns, ließ einmal den Blick über die Gesichter schweifen, wobei er bei mir ein paar Sekunden länger verharrte und begann dann mit seinem eigentlichen Anliegen. Hauptsächlich ging es darum, was alles für das nächste Treffen (das der normalen Mitglieder) vorbereitet werden musste. Jay löste den Kreis relativ schnell wieder auf. Danach kam er direkt auf mich zu. „Abby, folge mir bitte. Ich möchte dir noch etwas zu deiner Position als Jünger sagen. Wir verließen die Anderen ziemlich zügig, sodass sich unsere grauen Mäntel hinter uns aufbauschten. Ich folgte ihm aus dem Saal hinaus und einen langen Gang entlang. Links blieb er an einer Tür stehen und schloss sie auf. Der Raum war relativ groß und beinhaltete neben einem Tisch und ein paar Stühlen auch eine Feuerstelle. Er wies mich an mich zu setzen. Er entzündete ein Feuer und setzte sich mir gegenüber. Die Rangordnung brauch ich dir glaube ich nicht noch einmal zu erklären. Ich schüttelte den Kopf. „Während der Zeremonie darfst du nur mit Jüngern kommunizieren, egal ob normaler Jünger oder Oberjünger. Die schwarzen Kuttenträger sind tabu, ebenso wie die normalen Mitglieder. Vor bzw. nach den Zeremonien darfst du den Mitgliedern unter dir in der Rangfolge Befehle erteilen.“ Ich nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte. Das Feuer knisterte im Hintergrund. Jay schwieg. Ich hob leicht den Blick von der Tischplatte. Er sah mich eigenartig an. Ich senkte meinen Blick wieder. Eigentlich wollte ich nur noch aus diesem Raum raus, doch Jay schwieg und ich wusste nicht, ob ich ihn fragen durfte. Mir wurde diese Situation unangenehm. Er streckte eine Hand über den Tisch nach vorn. Ich behielt meine Hände bei mir. Ich verspürte den Drang einfach auf zuspringen und aus dem Raum zu gehen, doch ich versuchte ihn zu unterdrücken. Auf dem Gang hörte ich Schritte. Ich drehte den Kopf zur Tür, doch die Schritte waren verstummt. Ich drehte mich wieder zu Jay,doch er stand bereits. Er hatte sich so leise bewegt, dass ich es nicht gehört hatte. Ich stand ebenfalls auf. „Unseren Kodex kannst du noch oder?“ Mein Herzschlag begann sich zu beschleunigen. Natürlich kannte ich den Kodex. Zumindest einen Teil davon. Worauf wollte er hinaus? „Wie lautet Artikel 1?“ „Leiste die Dienste gegenüber deinem Meister zu dessen vollster Zufriedenheit.“, zitierte ich den Satz. „Sehr gut. Bei den Jüngertreffen bin ich dein Meister. Merk dir das. Er kam näher. Ich wich nicht zurück, obwohl ich es gern getan hätte. Als er nun ganz dich vor mir stand nahm er mein Gesicht in seine Hände. Kurz darauf berührten sich unsere Lippen. Ich presse meine dicht aufeinander. Kurz darauf war es dann auch vorbei. „Das müssen wir noch üben.“, meinte er. „Unter uns Jüngern ist das so üblich.“ Ich glaubte ihm nicht.
Am nächsten Tag wurde ich von Linda ausgefragt. Auch Miriam war neugierig. „Nu sag schon. Du warst doch schon bei diesem Treffen von den Jüngern“, entgegnete Linda. „Es war eh nur langweilig. Wir haben ein paar Dinge besprochen, die euch überhaupt nichts angehen und die für euch völlig uninteressant sind.“, antwortete ich und gab beiden zu verstehen, dass ich das Gespräch für beendet hielt. „Abby sei doch nicht so stur.“ „Ich bin nicht stur Miriam. Mir geht eure Fragerei allmählich auf die Nerven. Ihr seid ja bald noch schlimmer wie meine Tante.“ Ich ließ beide stehen und ging in Richtung Schule
Wie ihr wisst, hat Miriam vor nicht allzu langer Zeit vom Guru den Auftrag bekommen, ein Auge auf Mich und mein Umfeld zu werfen. Daraus wurde jedoch nichts. Wir waren so schlecht aufeinander zu sprechen, dass ich sie nur in der Schule sah und dort wechselten wir kaum ein Wort miteinander. Ich hatte ihr immer noch nicht gesagt, was beim Jüngertreffen besprochen wurde, darum war sie eingeschnappt. Sie hatte noch nicht vergessen, dass ich sie und Linda so einfach stehengelassen hatte. Eine Zeit lang erfuhr ich nichts über TBH. Weder Ereignisse noch die kleinste Information. Ich verbrachte nun die Zeit, in der ich normalerweise auf dem Drachenfels war, zu hause. Das Schlimmste war nur, dass mich meine Tante für ein Wochenende zu sich einlud. Nach zureden meiner Eltern nahm ich die Einladung widerstrebend an. Sie dachten sich nichts dabei und führten mein Verhalten auf Schlafmangel zurück.
Freitags nach der Schule holte Tante Alex mich ab und wir fuhren zu ihr nach Hause. Ich war nicht oft bei ihr gewesen, muss jedoch zugeben dass es ein sehr tolles Haus war. Ich bekam ein großes Zimmer unter dem Dach. Zum Abendessen servierte sie Lasange. Es war mein Lieblingsessen und schmeckte ausgezeichnet. Nachdem ich ihr sogar beim Abwasch geholfen hatte schauten wir uns eine DVD an. Dabei unterhielten wir uns eine Weile. Ich muss zugeben ohne diese ganze Fragerei war es doch sehr entspannend. „Deine Mama hat mir erzählt, dass du Samstags bei deiner Freundin Miriam bist“ „Ja das stimmt. Wir treffen uns fast jedes Wochenende.“ Damit war sie zufrieden. Gegen 23 Uhr verzog ich mich nach oben. Meine Tante würde morgen wieder zur Arbeit müssen. Nicht sehr lange, wie sie mir mitteilte. Sie wollte nur irgendwelche Akten abholen. Als ich im Bett lag schlief ich nicht gleich ein. Ich machte mir noch Gedanken darüber, wie ich das mit TBH wieder auf die Reihe bekommen sollte. Würde ich eine versteckte Nachricht bekommen oder würden Miriam oder Linda mir bescheid sagen? In dem Moment klingelte mein Handy. Ich brachte es schnell zum verstummen. Ich war überrascht, als ich sah, dass Miriam mir geschrieben hatte.
Abby, der Guru ist stinksauer auf uns beide. Ich hätte dich überwachen sollen, doch dadurch, dass wir nicht miteinander gesprochen haben war es unmöglich. Wir sollen morgen um du weißt wie viel Uhr du weißt wo sein.
Morgen war Samstag. Die Treffen fanden anscheinend wieder regelmäßig statt. Tante Alex würde morgen Vormittag weg sein. Die beste Gelegenheit um heimlich zum Treffen zu gehen. Bei dem Gedanken, dass der Guru sauer war wurde mir ganz anders.
Beim Frühstück am nächsten Morgen sprach ich Tante Alex darauf an. „Wann bist du ungefähr wieder da?“, fragte ich zögerlich. „Kommt drauf an wie lange es dauert.“ „Miriam hat mich gestern noch angerufen. Wir wollen heute Vormittag zusammen Hausaufgaben machen.“, log ich.“ Pass auf, dann gebe ich dir nen Schlüssel. Wenn du später kommst ruf mich an.“ „Ja klar mach ich.“ Ich hatte mit Miriam ausgemacht, dass wir gemeinsam zum Treffen gingen.
„Hast du mit dem Guru während meiner Abwesenheit gesprochen?“, es dauerte eine Weile, bis Miriam mir antwortete. „Ja einige Male. Ich sollte dir ja ausrichten, dass wir heute kommen sollen. Ich glaub er will mit uns reden, weil ich naja….weil ich ja eigentlich auf dich aufpassen sollte. Das ging ja nun schlecht, weil wir kaum miteinander gesprochen haben.“ „Ihr habt einige Male Kontakt gehabt? Und was hab ich damit zu tun?“ „Naja, wir haben halt nicht mehr miteinander gesprochen und…ach Abby ich weiß es doch auch nicht.“ Jetzt begegneten uns vereinzelt Mitglieder und auch der eine oder andere schwarze Kuttenträger. Mir kamen sie etwas komisch vor. Alles war irgendwie anders als sonst. Ob es an der leichten Panik lag die inzwischen in mir aufgestiegen war? Ich warf Miriam einen etwas ängstlichen Blick zu, den Miriam ebenso erwiderte. Sie wartete in der Ruine auf mich, während ich mich umzog. Die Spannung, die in der Luft lag war deutlich zu spüren. Nachdem ich wieder bei ihr war, ging Miriam zu den anderen Mitgliedern, während ich mich zu den Jüngern gesellte. Einige unerträgliche Minuten verstrichen- und dann kam der Guru.
Als er in der Mitte seinen üblichen Platz eingenommen hatte, ließ er seinen Blick einmal durch den Raum schweifen. Bei mir verweilte er eine Weile. Die Gebete und die Opferung fielen diesmal knapper aus. Den Grund sollte ich noch früh genug erfahren. Nachdem die Zeremonie beendet war, wiesen zwei Kuttenträger Miriam und mich an noch etwas dort zubleiben. Der Guru wollte noch mal mit uns sprechen. Sie führten uns durch eine Reihe von Gängen und dann hinab. Keiner war bisher dort unten gewesen. Die meisten vermuteten Kerker dort unten. Ich sah Miriam an, dass sie sich ganz und gar nicht wohl fühlte. Wollte der Guru uns eine Strafe auferlegen? Ich wollte überhaupt nicht daran denken. Die Kuttenträger vor uns blieben stehen. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich beinahe mit einem zusammengestoßen wäre. Wir wurden in einen Raum geführt, der ziemlich düster war. Sie ließen uns alleine. „Abby, ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache.“ „Ich auch nicht. Ich will auch ehrlich gesagt nicht daran denken, was gleich kommen mag.“
Miriam schickte ein Stoßgebet zum Himmel und auch ich hoffte auf nichts Schlimmes. Die Minuten erschienen uns wie Stunden. Irgendwann kam dann auch der Guru. Miriam und ich fielen vor ihm auf die Knie. „Ihr habt mich sehr enttäuscht. Das wisst ihr.“ „Abby hat damit nichts zu tun. Das war meine Schuld. Ich hab nicht mehr mit ihr gesprochen weil, …weil wir, Linda und ich, wissen wollten was bei den Jüngertreffen vor sich geht, aber Abby wollte uns nichts verraten.“ „Da hat sie auch vollkommen richtig gehandelt.“, warf der Guru ein. „Meister, ich versteh nicht ganz, was ich hier bei Ihnen soll. Ist es wegen dem Aufstieg?“, fragte ich unsicher. „Ja allerdings. Jay hat mir mitgeteilt, dass du bereits beim ersten Jüngertreffen anwesend warst und er möchte, dass du dich mehr mit den Anderen in Verbindung setzt. Du hast dich beim ersten Mal noch zurückgehalten, was er durchaus verstehen kann, doch er möchte, dass du dich ab dem nächsten Treffen stärker engagierst.“ Ich konnte erstmal gehen, doch Miriam blieb noch beim Guru.
„Weißt du, was mit Miriam ist?“, fragte mich Linda drei Tage später auf dem Schulweg. Miriam war jetzt schon drei Tage nicht mehr in der Schule gewesen. „Ich hab keine Ahnung. Irgendetwas stimmt nicht.“ „Meinst du, der Meister…?“, flüsterte sie und Angst schwang in ihrer Stimme mit. Nachdem ich am Samstag die Ruine verlassen hatte, war ich sofort zu meiner Tante gegangen. Sie hatte gemerkt, dass mit mir irgendetwas war. Ich tischte ihr die Geschichte auf, dass Miriam während ich bei ihr gewesen war, einen Unfall gehabt hatte und so wie ich es rüberbrachte, glaubte sie mir auch. Nachmittags hatte sie mich dann zu meiner Mutter gebracht. Ihr und Timo erzählte ich das Gleiche wie Tante Alex.
Linda und ich machten uns jetzt wirklich große Sorgen. Im Unterricht passten wir auch dementsprechend auf.
Eine Woche später kam Miriam wieder zur Schule. Allerdings hatte sie noch keine Entschuldigung dabei. In der großen Pause standen wir zu dritt beisammen. Miriam wich unseren Fragen aus. Sie hatte dunkle Augenringe und so wie ich es erkennen konnte, auch zahlreiche blaue Flecke. Was war passiert, nachdem ich die Ruine verlassen hatte?
„Miriam verschweigt uns irgendwas.“ Linda und ich gingen durch den Park. „Das glaub ich auch. Aber sie hat auch Angst.“, fügte ich hinzu. „Hast du die blauen Flecke bemerkt? Die waren noch gar nicht so alt.“ Linda nickte nachdenklich. „Langsam ist mir das nicht mehr so geheuer. Das letzte Mal war alles so anders. Da liegt was bei denen in der Luft. Der Meister wollte nicht nur mit dir und Miriam darüber sprechen, dass sie nicht auf dich aufgepasst hat. So wie du es mir geschildert hast, glaube ich, er wollte was ganz bestimmtes von Miriam. Aber was?“ Darauf konnte ich Linda nicht antworten. Ich wusste nur, dass wir herausfinden mussten, woher Miriam die Verletzungen hatte. Nur so konnten wir ihr möglicherweise helfen. Doch wie sollten wir das anstellen? Sie blockte sämtliche Fragen, die auf ihre Verletzungen hinausliefen ab.
Auch Miriams Eltern sorgten sich um ihre Tochter. Nicht unbedingt wegen den blauen Flecken, eher wegen ihrem Verhalten. Sie war viel ruhiger geworden seit dem Tag in der Ruine.
„Abby…kannst du nicht…ich meine…deine Tante. Kann die nicht ein Auge auf Miriam werfen?“ „Linda ich werde meiner Tante nicht erlauben ein Auge auf Miriam zu werfen. Das wäre viel zu riskant. Ich will auch nicht, dass rauskommt, dass wir beide bei TBH sind.“ „War ja nur so ne Idee…Weißt du wer das ist?“, fragte sie auf einmal. Ruckartig drehte ich mich um. Auf der Straße war jemand. „Der Typ kommt mir komisch vor. Der beobachtet uns schon die ganze Zeit.“, erwiderte Linda. Vorsichtig blickte ich noch einmal nach hinten. Die Person drehte uns den Rücken zu. Ich konnte ein Stück eines Nacken- Tattoos erkennen. „Lass uns weitergehen.“, erwiderte ich. „Mir ist das nicht ganz geheuer.“ Während wir das Tempo beschleunigten, drehte ich mich immer wieder um. Wer war dieser Typ und warum verfolgte bzw. beobachtete er uns?
„Miriam, was war da los, nachdem ich die Ruine verlassen hatte? Wir müssen das wissen, weil wir verfolgt werden. Wir vermuten, das TBH dahinter steckt.“ „Was?“ Sie war überrascht. „Miriam es ist ernst.“ „Ich kann es euch nicht erzählen…ich darf es euch nicht erzählen, sonst seid ihr auch in Gefahr und das will ich nicht.“ „Hat es was mit TBH zu tun oder nicht?!“, fragte ich energisch. „Miriam, wenn du es uns erzählst, können wir dir vielleicht helfen. Ich könnte zur Not, auch wenn es mit eigentlich widerstrebt, meine Tante vorwarnen.“ Miriam sah mich entsetzt an. „Dann bekommst du doch mächtig Ärger.“ „Das ist mir egal. Wir machen uns Sorgen um dich. Versteht das doch.“ „Das verstehe ich ja, aber ich kann es euch nicht sagen…wirklich nicht.“ „Weißt du, wer von TBH ein Nacken- Tattoo hat?“, fragte ich auf einmal. „Ein Nacken- Tattoo? Das ist schwer zu sagen, die meisten haben Kapuzen auf.“ „Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass ich die Person die uns verfolgt hat, schon mal gesehen hab und zwar auf einem von unseren Treffen.“
„Wann ist das nächste überhaupt?“, fragte Linda. Miriam und ich zuckten nur mit den Schultern. Unser Misstrauen gegenüber The black horse wurde noch verstärkt. In den vier Wochen nach unserem Gespräch mit Miriam fand weder ein normales Treffen, noch eines der Jünger statt. Ich hatte nicht einmal mehr Jay´s Handynummer, um mich zu erkundigen, wann wieder ein Treffen war.
Obwohl es ein Risiko war, erwischt zu werden, trafen wir drei uns am Samstag heimlich und machten uns auf dem Weg zur Ruine auf dem Drachenfels. Keiner von uns wusste wirklich, was uns dazu bewegt hatte dort hochzugehen. Vielleicht war es einfach nur Neugier oder die Ungewissheit, die uns dazu angetrieben hatte. Wir waren ungefähr auf halber Höhe in einem Waldstück, als wir plötzlich stimmen vernahmen. Schnell und ohne zu zögern versteckten wir uns hinter einem Gebüsch. Als ich durch das Blätterwerk blickte, sah ich zwei Jugendliche, die heftigst gestikulierten und sich anscheinend über irgendetwas stritten. Mir blieb fast das Herz vor Aufregung stehen, als ich bei einem der Jugendlichen ein Tattoo bemerkte- genau am Nacken. Jetzt war ich mir ziemlich sicher. Er hatte uns verfolgt. Noch erstaunter waren wir allerdings, als Miriams Name fiel und kurz darauf auch die von Linda und Mir. Wir sahen uns entsetzt an. Wir hockten noch ziemlich lange hinter dem Gebüsch. Meine Gedanken überschlugen sich. Miriam war kreidebleich. Linda behielt diesmal einen klaren Kopf. „Wir müssen dieses Spiel einfach mitspielen und wenn wir am entscheidenden Punkt angekommen sind können wir immer noch Abbys Tante einschalten. Linda hatte Recht. Wir müssen einfach mitspielen und dürfen uns nichts anmerken lassen. „Abby, du wirst das doch schaffen oder?“, fragte Miriam ängstlich. „Miriam ich muss es schaffen. Entweder ich steh das durch oder wir werden alle drei vorher abgemurkst.“
In den nächsten Wochen war ich nicht in der Lage das Gespräch, was wir belauscht hatten meinem Tagebuch anzuvertrauen. Doch dann hielt ich es nicht mehr länger aus. In einer Nacht holte ich es aus seinem Versteck hervor und schrieb mir alles von der Seele.

 
Liebes Tagebuch.
Mir geht’s wie fast immer, wenn ich dir schreibe. Ich muss unbedingt was loswerden und wem könnte ich es besser anvertrauen als dir? SIE verhalten sich in letzter Zeit immer merkwürdiger. Seit über einem Monat sind sie nicht mehr mit uns in Kontakt. Lila Maria und ich (Linda Miriam und ich) sind vor ca. drei Wochen du weißt schon wo gewesen. Unterwegs wären wir beinahe erwischt worden, doch wir konnten uns noch rechtzeitig verstecken. Zwei von ihnen haben wir zufällig belauscht. Sie haben sich ziemlich gestritten. Bei dem Streit sind unsere Namen gefallen. Mir fällt es schwer darüber zu schreiben. Sie haben über einen Plan diskutiert. Er hatte ihn ausgeheckt. (du kannst dir denken wie hoch sie gestanden haben müssen)Er will uns bzw. mich immerweiter zu sich heranholen. Doch dann, wenn ich ihm ganz nahe sein sollte, will er mir die große Aufgabe übertragen, sodass mir allein am Ende die Schuld zugewiesen wird. Du kannst dir nicht vorstellen, wie mir jetzt zumute ist.
A.

 
Gedankenversunken legte ich den Stift beiseite und starrte aus dem Fenster. Ich war immer noch aufgewühlt, wenn ich an den Plan des Gurus dachte. Ich fühlte mich jedoch auch etwas erleichtert, da ich es jemandem anvertraut hatte- meinem Tagebuch. Was sollte ich nun machen? Sollte ich das nächste Mal zum Treffen gehen? Oder sollte ich lieber doch nicht? Gerade in diesem Moment bekam ich eine SMS. Der Absender war anonym. Es gab jedoch nur eine Möglichkeit, wer der Absender war: TBH. Die Nachricht lautete: Samstag, selbe Zeit, selber Ort. Ich löschte die Nachricht und erkundigte mich kurz darauf bei Linda und Miriam, ob sie ebenfalls benachrichtigt worden waren. Miriam hatte ebenfalls bescheid bekommen. Linda aber nicht. Noch am selben Abend traf ich mich mit Miriam bei ihr zu hause. Ihre Eltern waren nicht da. So konnten wir uns ungestört unterhalten. „Ich versteh das nicht. Warum bekommen wir beide eine Einladung und Linda nicht?“ „Ich glaub, das hat was mit mir zu tun.“ „Was??“ Ich starrte Miriam an. „Du kannst dir gar nicht vorstellen was passiert ist, nachdem du gegangen warst. Es war grauenvoll…“ Jetzt hatte sie Tränen in den Augen. „Ich muss es einfach loswerden…“ Sie erzählte mir unter Tränen alles. Ich hörte ihr schweigend zu und stellte ab und zu ein paar Fragen. Was sie mir anvertraute gab mir ein erschreckendes Bild von The black horse. Sie bereiteten mir jetzt richtig Angst.
Am selben Tag erhielt ich einen Anruf. „Hallo?“ „Hier ist Jay. Hast du morgen Zeit?“ „Ja, warum fragst du.“ „Ein sehr kurzfristiges Treffen. 17 Uhr.“ Schon legte er auf.
Es war kurz vor 17 Uhr als ich an der Ruine ankam. Am Eingangsportal stand niemand. Bei den normalen Treffen war es flankiert von zwei schwarzen Kuttenträgern. Ich ging durch das Portal und durch den Gang zu dem Raum, den wir als Umkleide benutzten. Als ich eintrat, waren noch zwei weitere Mädchen dort. „Du bist neu oder?“, fragte mich ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren. „Ja, ich bin Abby.“, stellte ich mich vor. „Ich bin Nicole. Das dort hinten ist Nane.“ Ich beeilte mich mit Umziehen und zusammen betraten wir den großen Saal. Jay war schon da. Wir drei verbeugten uns leicht und nahmen unsere Plätze ein. „Wir haben einen unerwarteten Auftrag bekommen, weshalb ich euch alle hab herrufen lassen. Wie ihr alle wisst, ist das nächste Treffen Samstag. Es werden einige Zeremonien durchgeführt. Einer der hier Anwesenden hat die große Ehre, zu unserem Meister aufzusteigen. Im Anschluss an die Zeremonie wird es ein großes Mahl für die engsten Mitglieder geben. Das müssen zehn von euch vorbereiten. Einige der Jünger erhoben sich. Die Oberjünger blieben alle sitzen. Jay zählte zehn Leute ab. Nane und Nicole waren ebenfalls sitzen geblieben. Mein Blick traf sich mit dem von Nane. „Es gibt bessere Aufgaben bei dieser Zeremonie.“, flüsterte sie. Als nächstes wurden freiwillige gesucht, die drei Pferde vorbereiteten. Wir drei standen auf und mit uns noch fünf weitere. Jay zählte drei Leute ab. Mich lies er aus. Nach und nach wurden weitere Aufgaben verteilt. Dann sprach Jay mich direkt an. „Abby, es muss noch jemand den Raum für die Neulinge herrichten. Dabei hab ich an dich gedacht.“ Ich nickte. Danach wurde die Zeremonie aufgelöst. Nane meinte zu mir: „Da hast du aber eine der blödesten Aufgaben abbekommen. Beim nächsten Mal kannst du die Pferde mit vorbereiten.“ Sie war mit Nicole für den äußeren Platz zuständig, auf dem die Zeremonien abgehalten wurden. Ich verlies nun mit den anderen den Saal. Jay folgte uns. „Ich zeig dir, wo du hin musst.“ Er führte mich in einen Raum, den ich noch zu gut von meiner Aufnahme her kannte. Er erklärte mir, so ich was fand und sagte mir, wie ich den Raum herrichten sollte. Danach sollte ich einen weiteren Raum so herrichten. Wenn ich fertig war, sollte ich zu ihm kommen. Ich erledigte meine Arbeit schnell, wechselte die schwarzen Kerzen aus, legte zwei weiße Gewänder zurecht und reinigte das Portrait. Anschließend fegte ich die Räume. Ich war mit meinem Ergebnis ganz zufrieden und suchte Jay auf. Er war nicht interessiert daran, sich mein Ergebnis anzuschauen. Eher war er an mir interessiert, was mir nicht gefiel. Mein Gefühl sagte mir, dass er das alles nur spielte. Er wollte wieder einen Kuss von mir und als ich mich weigerte, verwies er wieder auf den Kodex und den ersten Artikel. Ich fügte mich ihm widerstrebend.

 
„Abby, die liegt doch was auf der Seele. Was ist los?“, wollte Tante Alex wissen. Ich war noch nicht so weit, um es ihr anvertrauen zu können. „Es ist wegen der Schule. In letzter Zeit bin ich total abgesackt.“ Ich hatte mich wirklich verschlechtert. „Das schaffst du schon wieder.“ Sie sah mich wieder mit diesem durchdringenden Blick an. Sie glaubte mir nicht wirklich. „Timo meinte, dass du in der letzten Zeit ziemlich launisch bist.“ Dieses nervende Kind von Bruder. Irgendwann dreh ich ihm noch den Hals um.
„Es ist wegen der Schule. Ich lern ja schon nachts, damit ich wieder halbwegs besser werde.“ Das war gelogen. Ich lag meistens wach im Bett und zerbrach mir den Kopf über Miriam und TBH und Jay. Tante Alex verließ mein Zimmer um meiner Mutter zu helfen. Ich ging rüber zu Timo. „Du kannst weni gstens anklopfen Abby…“ „Du Blödmann…wie kommst du dazu, zu patzen, dass ich launisch bin?“, fuhr ich ihn an. Er wich vor mir zurück. „Aber…ich …ich…ich hab nicht…“, stammelte er. „Erzähl mir ja nicht, du hättest unserer Tante nichts gesagt. Sie hat eben mit mir gesprochen.“ „Okay ich gebs zu…aber Abby…sie hat mich ausgefragt. Du weißt doch wie sie ist. Bei ihr kann man nicht lügen.“ „Noch ein Wort zu Tante Alex und du kannst was erleben.“ Ich funkelte ihn an. Timo schluckte.
„Abby kommst du mal?“ „Ich komme gleich Mama.“, rief ich. Ich funkelte meinen Bruder noch ein letztes Mal an und verließ dann sein Zimmer. „Was gibt’s denn?“, wollte ich von meiner Mutter wissen. „Es ist bald an der Zeit, dass du dein Praktikum machst Abby.“, erklärte sie. „Alex hatte die Idee, dass du dein Praktikum vielleicht bei ihr im K11 machst.“ Was hatte meine Mutter eben gesagt? Ein Praktikum bei meiner Tante im K11? Ich war einige Minuten sprachlos.
„Also es muss nicht sein, wenn du nicht willst. Es war halt nur so ne Idee von mir.“, erwiderte Tante Alex auf mein Schweigen hin. „Ich überleg mir das noch.“, antwortete ich. Auf den Weg in mein Zimmer lief mir mein Bruder wieder über den Weg. „Was wollte Mutti denn?“, wollte er wissen. „Das geht dich nichts an.“, entgegnete ich. „Los komm schon. Das kann ja nicht so wichtig gewesen sein.“ „Eben. Weil es nicht wichtig war, muss ichs dir nicht erzählen.“
Abends fragte ich meine Mutter, ob ich am Samstag wieder zu Miriam gehen könnte. „Dann aber nur bis Mittag, Euer Vater kommt nämlich.“ „Was? Das ist ja super.“ Auch Timo war begeistert unseren Vater nach langer Zeit wieder zu sehen. Unsere Eltern hatten sich vor ca. drei Jahren getrennt. Den Grund dafür wussten Timo und ich bis heute nicht. Wahrscheinlich hatte er eine Andere. Damals war eine Welt für unsere Mutter zusammengebrochen. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie darüber hinweg kam. Tante Alex wollte auch kommen. Sie hatte kaum Gelegenheit gehabt, ihren Bruder mal wieder zu besuchen. Ich freute mich ja schon ihn wieder zu sehen, aber ich fürchtete, der Guru könnte zornig werden, wenn ich das Treffen früher verließ. Ich musste am Samstag bis zum Schluss dableiben. Anders ging es nicht. Außerdem hatten Miriam und ich Linda versprochen ihr alles zu erzählen, was auf dem Treffen besprochen wurde. Die beiden machten sich auch Sorgen um mich, wegen dem Plan des Gurus. Ich durfte mir meine Nervosität nicht anmerken lassen. Was wenn er mich zum Oberjünger ernannte? Würde er mich dann Samstag schon ernennen?
Die Antwort war nein. So schnell ging der Guru mit seinem Plan nun doch nicht voran. Er brauchte noch zeit…viel Zeit. Nervös war ich schon gewesen, als Miriam und ich in der Ruine ankamen. Es war fast so, wie die Anderen zuvor, doch dauerte es diesmal länger. Es gab einige Veränderungen in den Kreisen. Drei neue kamen dazu, zwei wurden zu Oberjüngern ernannt und ein Oberjünger wurde zum schwarzen Kuttenträger. Die letzte Zeremonie war die aufregendste von allen gewesen. Es war für mich das Erste Mal, dass ich bei einer Zeremonie zugegen war, bei der ein Oberjünger zu einem schwarzen Kuttenträger aufgenommen wurde. Es war mit die längste Aufnahmezeremonie, aber auch die atemberaubendste.
Ich kam fast anderthalb Stunden später nach hause. Meine Mutter erwartete mich schon im Flur und war stocksauer. „Ich hoffe, du kannst mir erklären, warum du erst jetzt kommst. Und sag mir nicht, dass du bei Miriam warst und ihr Schularbeiten gemacht habt.“ „Aber Mama ich war wirklich bei Miriam.“ „Abby lüg mich nicht an. Ich habe mit Miriams Mutter geredet. Ihr wart nicht bei Miriam. Sie war nämlich auch nicht da.“ Oh Sch**** was jetzt? „Ich erwarte eine Antwort. Wo warst du?“ „Claudia nun lass sie doch erstmal reinkommen.“ Ich hatte völlig vergessen dass mein Vater da war. Meine Mutter warf mir noch einen Wir-sind-noch-nicht-fertig-Blick zu und ging ins Esszimmer. Ich folgte ihr.
Timo saß zwischen unseren Eltern. Ich musste mich, ob ich wollte oder nicht, neben Tante Alex und neben meine Mutter setzen. Beim Essen versuchte ich so gut es ging einem Gespräch mit meiner Tante auszuweichen. Lange konnte ich mich nicht mehr davor drücken. „Abby nun sag schon, wo warst du? Deine Mutter hat sich Sorgen gemacht.“ Mein Vater fragte mich dies ganz ruhig und sachlich. Ich musste mir nun ganz schnell eine Lüge einfallen lassen. „Wir waren bei einer Klassenkameradin noch ein Projekt fertig stellen.“ „Und warum hast du das deiner Mutter nicht erzählt?“ Mir tat es Leid meinen Vater anzulügen. „Weil…weil, ich weiß auch nicht. Ich muss es wohl vergessen haben.“ „Abby, ich möchte, das das nie wieder vorkommt.“ „Ja Mama.“
So ein Mist. Jetzt musste ich mir wohl was Neues einfallen lassen und Miriam auch. Zu allem Übel bekam ich noch Hausarrest. Alles nur nicht das! Miriam hatte ebenfalls mächtig Ärger bekommen. Super…die nächsten vier The-black-horse-Treffen musste ich dann sausen lassen. Das würde kein gutes Bild beim Guru abgeben, absolut nicht. Jay würde auch nicht begeistert sein, dass ich bei den Jüngertreffen ebenfalls nicht anwesend war. Das war im Moment nicht meine einzige Sorge. Ich war mir sicher, dass Tante Alex verdacht geschöpft hatte. Tja, nun hatte ich Hausarrest bekommen. Weiß selber nicht warum. Ganze 5 Wochen lang. In diesen 5 Wochen bekam ich fünf SMS von einem anonymen Absender, die alle die gleiche Nachricht enthielten. „Morgen selbe Zeit, selber Ort.“ Von SMS zu SMS war diese Botschaft drängender geworden. Am Mittwochnachmittag bekam ich einen Brief. Er hatte keine Absender. Ich riss den Brief auf und meine Vorahnung bestätigte sich. Er war in roter eckiger Schrift geschrieben. Ich hatte erst später herausgefunden, dass es Blut war. Es jagte mir Angst ein: „Abby, du kannst nicht glauben, dass du mein Vertrauen missbrauchen kannst. Du warst jetzt fünf Mal in Folge nicht bei einem Treffen. Ich bin enttäuscht von dir. Zur Strafe wirst du degradiert. Wir werden dich im Auge behalten. Noch ein versäumtes Treffen und du wirst unsere bittere Rache zu spüren bekommen.“ Als Unterschrift waren drei Buchstaben in geschwungener Schrift geschrieben. TBH. Ich zitterte. Ich hatte das Vertrauen des Gurus missbraucht. Ich war degradiert worden. Ich nahm den Brief und steckte ihn in mein Tagebuch… Ein paar Sekunden später bekam ich einen Anruf von Miriam. Sie hatte ebenfalls so einen Brief bekommen. Ihr war, genau wie bei mir, grausame Rache geschworen worden. Wir hatten Beide Angst vor dem nächsten Treffen. Das erfolgte drei Tage später.
Als wir zur Ruine kamen, wurden wir von drei Kuttenträgern abgefangen. Sie musterten uns kühl. „Der Guru erwartet euch.“ Er ging voraus. Die Anderen flankierten uns. Es war unheimlich. Vor einer Tür, die wie eine Kerkertür aussah, hielten wir an. „Ihr wartet hier.“ Der Kuttenträger klopfte, trat ein und schloss die Tür. Miriam sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. Links und rechts von uns standen die anderen beiden Kuttenträger. Sie wirkten wie Statuen. Die Tür öffnete sich wieder. Bei dem Geräusch zuckten Miriam und ich zusammen. Der Kuttenträger, der heraustrat, lächelte uns kühl an. „Schlechtes Gewissen was? Das solltet ihr haben. Der Meister ist sauer.“ Er nickte den anderen beiden zu, die uns daraufhin grob in den Raum schoben.
Es war stockdunkel dort drinnen. Es flackerte nur eine einzige Kerze. Der Guru saß auf seinem hölzernen, verzierten Thron. Miriam sollte als erstes vor ihm niederknien. Unsere Blicke trafen sich. Als er die Angst in meinen Augen sah, huschte ein Grinsen über sein Gesicht. Das gefiel mir gar nicht. Was darauf folgte werde ich nie vergessen. Er befahl Miriam sich oben rum frei zu machen. Als es ihm nicht schnell genug ging, half ein Kuttenträger nach. Miriam wehrte sich lautstark dagegen. Ich hatte zu viel Angst, darum ging ich nicht dazwischen und kein Laut kam aus meinem Mund, so sehr ich es auch versuchte. Ein lautes „Ruhe“ vom Guru genügte, um Miriam wieder zum verstummen zu bringen. Sie saß halb nackt vor ihm und zitterte. Teils vor Kälte, teils vor Angst. Dieser ängstliche Blick, mit dem sie mich ansah...er verfolgt mich heute noch, wenn ich daran denke. Mit einem Finger fuhr der Guru Miriam vom Hals zwischen der Brust hindurch bis zum Bauchnabel entlang. Miriam schrie. Der Schrei wurde durch die Kuppeldecke verstärkt und hallte in einem ohrenbetäubenden Echo von den Wänden wieder. Einen Augenblick später wusste ich auch warum Miriam schrie. Auf dem rechten Zeigefinger hatte er eine Stahlkappe. Daran war ein Dorn befestigt, der jetzt voller Blut war.
Ich stieß einen Schrei aus und versuchte mich von den Kuttenträgern, wie mich festhielten, loszureißen. Miriam blutete stark. Sie würde es nicht überleben, wenn sie nicht schnell genug Hilfe bekam. Der Guru sah mich an. Die Kuttenträger hatten nun Mühe mich zu bändigen. „Abby…“ Ich wollte nicht zuhören. Ich wollte einfach nur weg- weg von diesem grausamen Ort, weg von diesem grausamen Menschen. Ich wolle Hilfe holen für Miriam, wollte nicht, dass sie starb. „…Miriam hat es verdient. Sie war mir vorher schon negativ aufgefallen. Das war ihre gerechte Strafe.“ Gerecht? Was war daran gerecht? Ich wurde mittlerweile so gegen die Wand gedrückt, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich blickte zu Miriam, die reglos auf dem Boden lag. Sie sah mich ängstlich und flehend an. Langsam wich die Farbe aus ihrem Körper. Die Blutungen ließen nicht nach. Ich spürte den Blick des Gurus auf mir. „Jetzt hast du eine Vorahnung davon bekommen, was dich erwartet, wenn du es noch einmal versäumen solltest zu einem Treffen zu kommen. Deine Degradierung wird gleich draußen vor allen Mitgliedern stattfinden.“ Er erhob sich. „Und kein Wort…zu Niemandem.“ Er stieg über Miriams Körper und ging an mir vorbei. Die Kuttenträger schoben und drängten mich hinter ihm her. Sie ließen Miriams leblosen Körper unbeachtet im Raum zurück. Ich stolperte wie in Trance den langen Flur entlang nach draußen. Auf dem Innenhof waren schon alle versammelt. In der Mitte war ein Feuer entzündet worden. Ich wurde grob auf den Boden gestoßen, sodass ich direkt vor Jay seinen Füßen lag. Jay, der oberste der Jünger, stand in der Nähe des Feuers bei einigen Kuttenträgern. Mir fiel auf, dass diesmal keine Mitglieder unter 16 Jahren anwesend waren.
Der Guru schritt auf Jay zu. Dieser verneigte sich. Ich wurde von Jay auf die Knie gezwungen. Sein Blick war Kalt. Der Guru hielt eine Ansprache, die ich nicht wirklich wahrnahm. Mich quälten Angst und Ungewissheit vor dem was gleich kommen würde.

 
Es wurde wieder ein Pferd geholt. Der Guru hatte mit seiner Rede geendet. Jetzt kam er auf Jay und mich zu. Das Pferd wurde vor mir angehalten. Ich sollte mich zum Gebet hinknien und die Arme nach vorn ausstrecken. Das Pferd buckelte. Ich hatte Angst, sollte mich jedoch nicht bewegen. Die Hufe ruderten über meinem Kopf hin und her. Ic hrechnete jeden Augenblick damit, dass sie niedersausen und meinen Kopf würden. Mit einem dumpfen Aufschlag kamen sie ein paar Millimeter links und rechts von meinem Kopf auf. Es hob den rechten Huf an und platzierte ihn auf meinem Kopf. Was würde jetzt geschehen?
„Los steh auf.“ Jay zog mich wieder auf die Beine. Zwei Kuttenträger hielten mich fest, als mir meine Kutte vom Leib gerissen wurde. Als Symbol der Erniedrigung schmiss Jay sie ins Feuer. Ich war nur noch spärlich bekleidet. Alle Anderen ringsherum sahen dem zu. Ich bekam wieder ein weißes Gewand. Auf der Vorder- und Hinterseite war jeweils ein rotes D in einem Kreis aufgemalt. Das D stand für degradiert. Ich sank noch einmal vor dem Guru auf die Knie und sah zu ihm hinauf. Ich durfte mir keine Fehler mehr erlauben, sonst würde es mir so wie Miriam ergehen. Aussteigen konnte ich nicht. Oder vielleicht doch? Die einzige Chance war ´The black horse´ auffliegen zu lassen. Doch die Rache würde bitter sein. Ich war heil froh, als das Treffen beendet war. Nachdem ich wieder aufstehen durfte, stand ich mit zitternden Knien vor ihm. Ich wartete bis alle weg waren. Dann zog ich mich schnell um. Ich musste zu Miriam. Ich musste ihr helfen…egal, ob es zu spät war. Zunächst verdrängte ich den Gedanken und redete mit ein, dass Miriam noch am Leben sei. Ich wollte sie auf keinen Fall hier lassen. Also machte ich mich daran den Kerker zu finden, wo ich Miriam zurückgelassen hatte. Das war gar nicht so leicht. Zum einen wusste ich den Weg nicht mehr so genau und zum anderen musste ich aufpassen, dass ich nicht erwischt wurde. Die schwarzen Kuttenträger waren immer noch in der Ruine. Während ich vorsichtig durch die Gänge schlich, hatte ich einen Entschluss gefasst.
Das Angebot von Tante Alex, ein Praktikum im K11 zu machen, wollte ich annehmen. Es könnte mir eines Tages vielleicht von Nutzen sein. Langsam bewegte ich mich vorwärts. Das eine oder andere Mal wäre ich beinahe erwischt worden. Endlich hatte ich die Kerkertür gefunden. Als ich davor stand vernahm ich von drinnen Stimmen. Ich erkannte die des Gurus und von Jay. Sie unterhielten sich anscheinend über meine Degradierung. Plötzlich hörte ich Schritte, die sich auf mich zu bewegten. Ich sah mich nach einem Versteck um.
Doch vergebens. Es gab keins. Die Wände um mich herum waren glatt. Es gab keine Nischen, worin ich mich hätte stellen können. Rein gar nichts. Ich hatte nur drei Möglichkeiten. Entweder durch die Tür vor mir zu gehen, hinter der Guru und Jay sich befanden, oder den Schritten entgegen zu gehen. Ich konnte auch einfach nur dort stehen bleiben. Starr vor Angst. Ich würde erwischt werden, egal welche der drei Möglichkeiten ich auch wählte. Zwei schwarze Kuttenträger kamen um die Ecke und erblickten mich. Ehe ich mich aus meiner Starre gelöst hatte, hatten sie mich schon gepackt und an die Tür geklopft. Die Stimmen von drinnen verstummten. Der Guru und Jay sahen mich mit hasserfüllten Gesichtern an. Diesmal konnte ich das ganze Gesicht des Gurus ausmachen und was ich sah, schockierte mich.
Am liebsten hätte ich auf der Stelle kehrt gemacht und wäre aus der Ruine gerannt. Doch dazu steckte mir der Schock allzu sehr in den Gliedern. „Nein…“, stammelte ich. „Nein…nein…das kann nicht….das kann nicht sein..“ Es war aber so. Es war die Realität. Und ich stand leibhaftig meinem Ex-Freund gegenüber, der mich gehässig anlächelte. „Ja Abby. Ich bin dein Guru. Ich war es schon die ganze Zeit gewesen.“ „Des…deswegen wusstest du auch…über Tante Alex bescheid…“ Er nickte. „So ist es.“ Warum hatte ich ihn nicht an seiner Stimme erkannt? Konnte er sie so gut verstellen, dass ich nichts davon merkte? „Du Sch****..“ Ich wehrte mich nun heftig gegen die Kuttenträger, die mich festhielten, doch alles Wehren war zwecklos. „Abby lass es lieber. Es hat keinen Sinn.“ Er lächelte mich fies von seinem Thron aus an. „Du wirst heute Nacht hier bleiben. Mit uns. Ich werde deine Mutter anrufen, damit sie sich keine Sorgen macht.“ Ich wollte ganz und gar nicht mit meinem Ex und seinen Untergebenen in dieser abgelegenen Ruine die Nacht verbringen. Er hatte schon das Handy am Ohr und das Freizeichen war ertönt. Der Kuttenträger rechts von mir hielt mir den Mund zu. Das Gespräch dauerte keine zwei Minuten. „Alles in Ordnung. Jetzt sorgt sich keiner mehr um dich und wir können ungestört die Nacht zusammen verbringen.“ Nun, da der Kuttenträger die Hand von meinem Mund genommen hatte konnte ich wieder richtig atmen. Ich war so angewidert von dem Typen, der sich mein Ex-Freund schimpfte. Ich wollte ihm das auch zeigen. Als Zeichen spukte ich ihm vor die Füße, was ein fataler Fehler gewesen war. Er stand abrupt auf kam zwei Schritte auf mich zu, sodass sein Gesicht nur millimeterweit von meinem entfernt war und zog meinen Kopf nach hinten. „Du miese Schlampe. Wenn du nicht so enden willst wie Miriam, dann verhalt dich mir gegenüber respektvoll.“ „Ich soll mich dir gegenüber r e s p e k t v o l l verhalten?“ „Abby es reicht.“, der Schrei und die Ohrfeige ließen mich für einige Sekunden erstarren und einsehen, dass ich nicht gegen ihn ankam. Ich musste mich ihm fügen, wenn ich am Leben bleiben wollte. „Bringt sie in den großen Saal und lasst alle meine treuesten Untergebenen dort versammeln. Ich werde bald nachkommen.“
Ich wurde also nun von den Kuttenträgern in den großen Saal geleitet. Zuvor hatte ich noch einen Blick auf die Stelle werfen können, wo Miriam gelegen hatte. Ihr Körper war entfernt worden. Das Blut aufgewischt. Riesiger Saal wäre ein treffenderer Ausdruck gewesen. Er war so groß wie zwei Fußballfelder. In der Mitte stand ein langer Tisch. Hier wurden anscheinend wichtige Sachen besprochen was The black Horse anging. Es hingen etliche Portraits von schwarzen Pferden an den Wänden. Fackellicht erhellte den Raum. Ich drehte mich um, als ich Schritte hinter mir vernahm. Vor Verwunderung blieb mir der Mund offen stehen. Es müssten mehr als 30 Kuttenträger gewesen sein, die nun den Saal betraten. Sie nickten den beiden zu, die mich immer noch in Schach hielten. Von mir schien keiner Notiz zu nehmen. Sie setzten sich der Reihe nach an den langen Tisch. Der Guru oder besser gesagt mein Ex kam kurz darauf. Sofort erhoben sich alle Kuttenträger von ihren Stühlen. Und meine Begleiter zwangen mich kurzzeitig in eine schmerzhafte Verbeugung. Nachdem er an uns vorbeigegangen war folgten meine Begleiter mit mir. Als er am Tisch angekommen war und sich gesetzt hatte, nahmen auch die Anderen Platz. Er wies mich auf den Platz rechts von ihm. Meine Begleiter standen versetzt rechts und links hinter mir, starr wie Statuen. Die Saaltüren öffneten sich erneut und eine Reihe Oberjünger mit vollgeladenen Tabletts trat ein. Als jedes Tablett an seinem Platz stand verbeugten sie sich und verließen den Saal. Es folgte ein sehr langes Gebet, dem ich mich anschloss. Ich war innerlich erleichtert, als das Gebet beendet war. Ich bemerkte erst jetzt, dass mein Platz der einzige ohne Teller und Besteck war. Mein Ex musste es bemerkt haben, denn er antwortete, dass dieses Mahl nur für Kuttenträger und den Guru bestimmt war und erst Recht nicht für Degradierte. Das ´Degradierte´ hatte er besonders betont. Er stellte mich vor den anderen bloß. Ich schluckte meinen Ärger hinunter und tat so, als ob ich es überhört hätte.
Den Anderen beim Essen zuzusehen war schon Strafe genug. Ich musste mich richtig zusammen nehmen um meinen Magen nicht rebellieren zu lassen. Was auf den Platten lag verdarb mir ganz und gar den Appetit. Auf jedem Tablett stand eine silberne Schüssel mit einer Pferdekopfgravur. Eine rote Flüssigkeit befand sich darin. Daneben lagen undefinierbare, wie es aussah, rohe Fleischstücke. In großen silbernen Kannen befand sich blutroter Wein, der in silberne Becher gefüllt wurde. Gegessen wurde mit silbernen Gabeln, Messern und Löffeln von großen silbernen Tellern. Das ganze Geschirr hatte eine Pferdegravur. Es schien schon sehr alt zu sein. Das ganze Service war angelaufen. Den Tisch verzierten zusätzlich große schwere Kerzenständer, in denen lange schwarze Kerzen brannten. Wie konnten diese Leute dieses Essen überhaupt hinunter bekommen? Wie konnten sie es so genüsslich verspeisen? Zwei Oberjünger gingen den Tisch entlang und schenkten Wein nach. Mir wurde nun ein silberner Becher hingestellt und der mit Wein befüllt wurde. Ich war ziemlich verunsichert. Mein Ex prostete mir zu. Ich erhob den Becher mit zitternden Händen. Er lächelte leicht. Aus Höflichkeit nahm ich einen Schluck. Der Wein war ausgesprochen süß und erfüllte meinen Körper mit Wärme. Ich trank noch zwei Schlücke bevor ich den Becher wieder auf den Tisch stellte. Die Atmosphäre wäre sicherlich anders gewesen, wenn ich nicht dabei gewesen wäre. Es herrschte nahezu eine gefräßige Stille. Nach einer Weile hatte ich meinen Becher halb leer und fühlte mich total schläfrig. Ich hatte nicht vorgehabt so viel zu trinken, aber der Wein war wie eine Sucht. Ich konnte nicht aufhören. Die Platten hatten sich mittlerweile geleert und ich wollte eigentlich nur noch schlafen. Die Tischrunde wurde aufgelöst und wir verließen den Saal in einer langen Prozession. Mein Ex vorweg und alle, von mir und meinen Begleitern angeführt, hinterher. Mir war nie zuvor der Gedanke gekommen, dass in der Ruine Schlafmöglichkeiten vorhanden waren.
Wir stiegen hinab in den Keller. Der Gedanke daran, dort unten schlafen zu müssen, ließ mich erschaudern. Ein Teil Kuttenträger unseres Zuges bog im nächsten Gang rechts ab. Auch meine Begleiter. Ich wollte ihnen folgen, doch der Guru hielt mich zurück. „Abby du kommst mit mir!“ Ich folgte ihm widerstrebend. Es folgten uns nur noch fünf Kuttenträger. Wahrscheinlich die, die er am meisten schätzte. Ich weiß nicht mehr wie viele Gänge wir noch passierten. Irgendwann standen wir beide vor einer Tür, die mein ´wundervoller´ Freund mit einem großen, wie es aussah schweren, alten Schlüssel aufschloss. Ich wich von der Tür zurück. Ein riesiger Hund stand vor mir und fletschte die Zähne. Ein strenges „Aus. Zurück.“ Von meinem …Freund ließ ihn gehorchen und zurückweichen. Er ließ mich allerdings nicht aus den Augen. Unter solchen Umständen, kam es mir unmöglich vor zu schlafen. Hätte ich in die Zukunft blicken können, wäre ich auf der Stelle abgehauen. Das Zimmer war sehr spartanisch eingerichtet. In einer Ecke stand eine große hölzerne Truhe. Dort drin bewahrte er höchstwahrscheinlich seine Kutten auf. Er war schon an eine andere Truhe getreten. „Mach die Tür zu.“ Ich gehorchte. Aus der Truhe holte er einen alten, mit Stroh befüllten Sack und legte diesen an eine Wand. „Da drauf wirst du heut schlafen.“ Sein Strohsack war viel dicker als meiner. Auf einem kleinen Tisch standen eine silberne Kanne und zwei Becher, die er nun mit Wasser befüllte. Er reichte mir einen und ich trank. Kurz darauf wurden meine Augenlider bleischwer. Ich ging auf mein Nachtlager zu. Er folgte mir und streckte mir seine Hand entgegen, um mich hinunter gleiten zu lassen. Ich ergriff sie. Als ich lag kniete er neben mir. Ich fühlte mich schwindelig. Mir kam der Gedanke, dass er mir etwas ins Wasser getan hatte. Seine Hand berührte mein Gesicht und streichelte es sanft. Ich wollte es nicht und drehte den Kopf leicht, doch er machte weiter. Ich verfiel in tiefen Schlaf.
Als ich erwachte verspürte ich Schmerzen im Unterleib. Ich konnte mich an den gestrigen Tag nicht mehr erinnern. Ich bewegte mich vorsichtig und zuckte zusammen, als ein Hund knurrend über mir stand. War er die ganze Nacht mit mir in einem Raum gewesen? Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Als die Tür sich öffnete bewegte sich der Hund keinen Millimeter. Der Guru kam und mir fiel es wieder ein, wer er war. Er hatte wieder seine lange schwarze Kutte an. Er hielt kurz inne und blickte zu mir. Ich konnte sein Geicht nicht sehen. Dann schloss er die Tür. Der Hund sprang von mir hinunter und stellte sich schwanzwedelnd vor seinen Herrn auf die Hinterpfoten. Er bettelte um das Stück Fleisch was sein Herr in der Hand hielt. Er warf es ihm zu und wandte sich an mich. Ich sah ihn nur angewidert an und bewegte mich in die hinterste Ecke als er sich niederkniete. Ich ekelte mich vor diesem Typen. Er griff nach meinen Händen, doch ich entzog sie ihm Er griff erneut und diesmal konnte ich nicht ausweichen. Er zog mich auf die Beine und ich wehrte mich. Sein Griff wurde fester. Er drückte mich auf einen Stuhl am Tisch. „Abby. Beruhige dich.“ Ich war erst ruhig, nachdem der Hund nach mir geschnappt hatte. Erst jetzt bemerkte ich dass ich fror. Auch er merkte es. Er ging zu der großen Truhe und holte eine Kutte hervor, die genau so rabenschwarz war, wie die Pferde bei den Opferungen oder Zeremonien. Er reicht sie mir. „Zieh das an.“ Ich rührte mich nicht. Er wiederholte seine Aufforderung härter. „Glaub nicht, dass dein Rang dadurch höher wird.“ Ich zog mir die Kutte über, die etwas zu lang war, doch wenigstens fror ich nun nicht mehr. Ich musste ihm noch eine Frage stellen. Mein Unterleib schmerzte noch immer etwas. „Warum hast du das getan?“ Er lachte leise. „Du hast mich förmlich drum angebettelt.“ „Das würde ich niemals tun. Nicht bei dir.“ Er ging nicht weiter darauf ein. Er reichte mir wieder einen Becher mit Wasser, den ich nun ablehnte. „Wie lange willst du mich noch hier behalten?“ Auch darauf bekam ich keine Antwort. „Hast du Hunger?“, fragte er stattdessen. Ich nickte nur. „Dann komm mit.“ Wir gingen wieder durch unzählige Gänge. Bis wir in dem Saal waren. Als wir eintraten erhoben sich alle Kuttenträger. Als wir zum Tisch gingen, stolperte ich einige Male über meine Kutte. Ich schien die einzige zu sein, die die Kapuze nicht aufgesetzt hatte. Da ich nicht auffallen wollte tat ich dies schnell.
Ich nahm wieder den Platz rechts vom Guru ein. Die anderen warfen mir immer wieder Seitenblicke zu. Wie die Kammer des Gurus, so war auch das Mahl diesmal spartanisch und spärlich. Es gab nichts weiter, als Wasser und Brot. Alle, außer mir, hatten zudem noch einen kleinen Kelch mit roter Flüssigkeit, die definitiv kein Wein war. Ich rührte meinen vollen Becher mit Wasser nicht an. Auch kein Brot. Ich saß einfach nur stumm auf meinem Stuhl. „Abby iss wenigstens was.“ Erschrocken drehte ich mich um. Jay stand hinter mir. Eine silberne Kanne in der Hand. „An dem Essen ist überhaupt nichts dran.“ Ich schüttelte nur den Kopf. „Willst du, dass es dir rein gezwungen wird?“ Sein Tonfall war kühl. „Das reicht. Sie entscheidet selbst was sie will.“ Jay ging weiter. Mich quälte der Hunger, doch ich zwang mich nichts anzurühren. Als alle fertig waren stießen sie mit den Kelchen an. Einige leckten sich danach genussvoll die Lippen. Ich schauderte. Mein Ex stand auf. Offenbar wollte er eine Rede halten. „Ihr wisst, was eure Aufgaben sind. In drei Stunden beginnt die Zeremonie. Abby, auch Linda wird dabei sein. Es ist nichts passiert. Du warst au meinen Wunsch schon eher da. Wir werden dich im Auge behalten. Solltest du die Zeremonie vermasseln, indem du zufällig abklappst, könnte es sein, dass ich dem Hund erlaube mit dir zu spielen. Ich rate dir also noch etwas zu essen. Wende dich an Jay, wenn du noch etwas haben willst.“ Als ich den Saal verließ bemerkte ich noch, wie Jay und der Guru miteinander sprachen. Ich suchte nach dem erstbesten Ausgang, da ich frische Luft brauchte. Dabei liefen mir vereinzelt Kuttenträger über den Weg. Ich hielt inne, als ich das Wiehern von Pferden vernahm. Ich folgte der Richtung, bis ich schließlich auf einem Platz im Freien stand. Zu meiner Rechten befanden sich eine Koppel und ein Stall. Ich ging näher heran und erblickte auf der Koppel drei wunderschöne schwarze Pferde. Fasziniert beobachtete ich sie, wie sie friedlich grasten. Ein Windstoß lies die Kapuze von meinem Kopf gleiten. „Kannst du reiten?“ Eine junge Frau war, ohne dass ich es bemerkt hatte, neben mich getreten. Sie trug ebenfalls eine schwarze Kutte. Ich nickte. „Möchtest du Black Star reiten? Das ist die Stute dort.“ Sie zeigte auf ein Pferd mit einem weißen Stern. „Wenn ich darf.“ „Sonst hätte ich es dir nicht angeboten.“ Sie ging auf das Gatter zu und ich folgte ihr.
Sie pfiff einmal kurz und die drei schwarzen kamen in gemütlichem Schritt auf uns zu. Sie ging zu Black Star, die sich niederkniete. „Du kannst aufsitzen.“ Als ich saß, musste ich meine Hände um den Hals der Stute legen, um nicht nach hinten hinunter zurutschen Es war ein belebendes Gefühl über die Koppel zu galoppieren. Es ließ mich die Ereignisse und die Drohung des Gurus vergessen. Ich drehte mich vorsichtig um. Die anderen beiden Pferde folgten uns im Galopp. Black Star wurde nervös. Ich hörte aufgeregtes Geschrei. Keine Sekunde später stieg sie. Ich schrie vor schreck auf. Ich drohte nach hinten abzurutschen. Zwei Lassos schwangen sich um den Hals der Stute. Sie hatte große Panik. „Aufhören“ Doch die Kuttenträger, die die Lassos mit aller Kraft zerrten, schienen mich zu ignorieren. Es dauerte ewig, bis Black Star sich beruhigt hatte. Sie stand schnaufend und prustend auf der Koppel, mit mir auf dem Rücken. Die Angst steckte mir immer noch in den Gliedern. Die Kuttenträger mit den Lassos kamen langsam näher, die Lassos straff gespannt Jay nährte sich von vorn. „Komm runter.“ Ich kam mit zitternden Knien vor ihm auf dem Boden auf. Die Kuttenträgerin nährte sich aufgebracht, als Jay mich am Arm packte und von der Koppel zerrte. Sie wandte sich an Jay. „Sag mal spinnst du? Sie Hätte sich das Genick brechen können.“ „Sie hat nichts auf einem Pferderücken zu suchen.“, erwiderte er zornig. „Jetzt geh du wieder an deine Arbeit. Mach dieses Pferd für die Opferung bereit.“ Die Frau rührte sich nicht. „Von uns hat Jeder das Recht auf dem Rücken dieser Pferde zu sitzen.“ Jay funkelte sie an. „Sie ist degradiert worden. Warum sie diese Kutte anhat weiß ich nicht. Der Guru hat sie zumindest nicht ermahnt. Und jetzt mach dich an die Arbeit du dummes Weib. Der Guru wird dich später noch sprechen wollen.“
Er zerrte mich hinter sich her. „Er wird es ganz und gar nicht toll finden, dass du geritten bist.“ „Warum ist das verboten? Die Tiere brauchen Bewegung.“ „Sie bekommen genug Auslauf.“ Ich hatte es nicht anders erwartet, dass er mich zu meinem Ex brachte. Mir war es unmöglich sein Gesicht zu deuten. „Sie war draußen, als ich sie aufgespürt habe. Sie hat auf einem Gaul gesessen und ist auf ihm über die Koppel galoppiert.“ „Black Star ist kein Gaul und die anderen Tiere auch nicht.“, erwiderte ich zornig. Er wandte mir sein Gesicht zu. „Du hast auf Black Star gesessen und bist sie geritten?“ Er war mehr als zornig. „Ich…““Spar dir deine Ausreden! Wer hat dir das überhaupt erlaubt?“ „Das war Angelina.“ Jay hatte an meiner Stelle geantwortet. Ich zog die Aufmerksamkeit der beiden wieder ungewollt auf mich, indem mein Magen laut knurrte. „Gib ihr was zu essen und dann bringst du Angelina hier her!“ Wir gingen wieder ein Treppe hinauf und einen langen gewundenen Gang entlang, bis wir vor einer großen zweigliedrigen Tür standen. Die Küche war erstaunlich groß. Frauen gab es hier kaum, was bei dem Essen auch kein Wunder war. Mir wurde ein silberner Becher mit Wasser in die Hand gedrückt und ein Stück Brot. Ich kaute darauf rum und spülte es widerwillig mit Wasser hinunter. Jay ging, um Angelina zum Guru zu bringen. Was würde mit ihr geschehen? Würde er sie dafür bestrafen, dass sie ihr, Abby, erlaubt hatte, Black Star zu reiten? Ich fühlte mich schuldig. Wie sollte ich das nun rückgängig machen? Es gab keinen Weg mehr zurück.
Ich schlang das Brot hinunter und kippte den Rest Wasser hinterher. Dann stand ich auf und rannte zurück in Richtung Koppel. Angelina war nicht mehr zu sehen. Anscheinend war sie schon bei meinem Ex. Black Star war auch nicht mehr auf der Koppel. Die Worte von Jay fielen mir wieder ein „Mach dieses Pferd für die Opferung bereit.“ Wie konnten sie nur so grausam sein und dieses wunderschöne Tier durch das Feuer jagen und anschließen….nein es durfte einfach nicht passieren. Ich drehte mich um und wollte gerade wieder in die Ruine laufen, als ich panisches Wiehern vernahm. Black Star! Ich rannte in die Richtung. Mehrere Kuttenträger versuchten das Tier zu bändigen, das sich gegen die vielen Lassos aufbäumte. Die Szenerie war zu schrecklich. Ich überlegte gar nicht erst …ich rannte auf die Kuttenträger zu, die einen Moment innehielten. Zwei von ihnen ließen augenblicklich ihre Lassos los und stürzten sich auf mich, um mich vor den rudernden, tödlichen Hufen zu schützen. Ich ging zu Boden. Die Kuttenträger auf mir. Sie hatten mich zur Seite geschubst, was vollkommen richtig gewesen war. Keine Sekunde später landeten die Hufe an der Stelle, wo ich sonst gestanden hätte.
„Bist du wahnsinnig?“, schrie mich einer von ihnen an. „Du wärst tot gewesen, wenn wir nicht dazwischen gegangen wären.“ Das Geschrei ließ Black Star nervös hin und her trippeln. Ich wurde auf die Beine gezogen und außer Reichweite von Black Star geschubst. Seltsamer Weise versuchte das Pferd sich loszureißen und in meine Richtung zu laufen, als wollte es mich vor diesen Leuten schützen. Die Kuttenträger verstanden diese Situation jedoch völlig falsch. „Wegen dir ist die so wild. Warum musstest du auch hier auftauchen?“ „Ich hab sie panisch Wiehern hören und bin hergelaufen. Nicht meinetwegen ist sie so wild. Sie hat panische Angst, wenn ihr sie so bedrängt.“ „Was verstehst du schon von den Tieren? Du machst in letzter Zeit nur Ärger. Lange wird der Guru das nicht mehr mitmachen.“ Ich hatte auch nicht vor es noch lange mitzumachen. Ich hatte nicht mehr viel Zeit mich darüber zu ärgern, denn das Treffen rückte immer näher. Als Linda mich in der Menge erblickte, kam sie auf mich zu. „Warum bist du schon hier?“ „Der Guru wollte es so.“, antwortete ich knapp. Damit gab sie sich zufrieden. Vor der Zeremonie hatte ich Angst. Wenn ich an Black Star dachte, lief mir ein eiskalter Schauder über den Rücken. Ich konnte nichts daran ändern…oder doch? Ich erinnerte mich daran, dass mein Ex wütend geworden war, als er erfahren hatte, dass ich ausgerechnet Black Star geritten hatte. Ich musste zu ihm. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit das zu ändern. Ich drehte mich um, ließ Linda stehen und rannte durch die Ruine, auf der Suche nach dem Guru. Ich fand ihn auch relativ schnell, da ich beinahe in ihn rein gelaufen wäre. „Tschuldigung.“, murmelte ich. „Aber die Kuttenträger wollen Black Star opfern.“„Falls du es vergessen hast, du bist vor einiger Zeit degradiert worden. Die Kuttenträger haben bei weitem einen höheren Rang als du. Dir steht es nicht zu ihre Entscheidungen zu beeinflussen.“ „Aber du kannst es. Du bist der Guru. Du bist derjenige auf den sie hören. Warum bist du dann vorhin so wütend geworden, als du erfahren hast, dass ich Black Star geritten bin? Wenn dir das Tier so wichtig ist, warum lässt du es dann opfern?“ „Ich war deswegen so wütend, weil ich erfahren habe, dass du geritten bist.“ „Das glaub ich dir nicht. Warum steht es nur den Kuttenträgern zu sie zu reiten? Die Neuen reiten doch auch und die sind vom Rang her viel, viel niedriger als ein Kuttenträger.“ „Abby, DU BIST DEGRADIERT WORDEN. DU STEHST AM WEITESTEN UNTEN!! DU DARFST NICHT REITEN. VERSTANDEN?“ „Ich mach das alles hier bald nicht mehr mit.“ Ich wollte mich umdrehen und wieder zurück zu Linda laufen, doch er packte mich am Arm und zerrte mich rum. „Du weißt genau, was dann passiert, wenn du uns auffliegen lässt.“ „Du kannst mir keine Angst machen.“ „Da wär ich mir nicht so sicher. Willst du wirklich, dass Linda und dir das Gleiche passiert wie Miriam?“ „Was hat Linda damit zu tun?“ „Ihr hängt doch zusammen, wie siamesische Zwillinge. Wenn ich eine von euch beiden erledige, wird die Andere nicht überleben, weil sie mich dann anflehen wird, dasselbe Schicksal erleiden zu wollen. Damit ihr wieder vereint seid.“ „Du bist so krank.“ „Jetzt mach, dass du zu den Anderen kommst!“ Sein Tonfall ließ keine Widerrede zu.
„Da bist du ja wieder. Wo wolltest du so schnell hin?“, begrüßte Linda mich wieder. „Ich musste noch was mit dem Guru klären.“ „Abby. Es ist eben da drin was vorgefallen. Ich merk es dir an.“ „Ist nicht so wichtig.“ Sie sah mich durchdringend an. Mir war, als ob ich geröntgt wurde. „Ich werd dich nach dem Treffen zu deiner Tante bringen. Mir ist das mit dir hier nicht ganz geheuer.“ „Kein Problem. Da wollt ich sowieso hin.“ Sie zog die Brauen hoch. „Warum auf einmal dieser Sinneswandel?“ „Nicht auf einmal…ich hatte es schon länger geplant. Ich kann hier aber nicht mehr darüber sprechen.“ „Ist okay. Wenn wir da sind, kannst du alles erzählen.“ Ich nickte. Rings um uns wurde es allmählich ruhig. Wir nahmen unsere Plätze in dem Kreis ein. Ich muss dazusagen, dass ich meine Kutte bereits abgelegt hatte. Die Zeremonie war unheimlich lang diesmal. Nach der Zeremonie wollte ich nur noch weg von diesem grausamen Ort mit seinen noch grausameren Bewohnern.
Auf dem Weg nach Hause fragte Linda: „Sag mal, hast du Miriam irgendwo gesehen?“ Mir schnürte sich der Magen zu. Linda wusste es noch nicht. Woher auch? „Wahrscheinlich hat sie keine Einladung bekommen.“, versuchte ich zu lügen, Ich war noch nicht bereit, ihr das Geschehene zu berichten. „Abby, heute waren alle anwesend. So viele waren wir noch nie gewesen. Und Miriam hat gefehlt.“ „Woher willst du wissen, dass alle da waren?“
„Keine Ahnung.“ Der restliche Weg verlief schweigend. Wir gingen jedoch nicht nach hause sondern gleich ins K11. Ich war noch nie im Büro meiner Tante gewesen. Deshalb wusste ich den Weg auch nicht. Ich bemerkte einen jungen Mann, der mir irgendwie bekannt vorkam. Wo hatte ich ihn schon mal gesehen? Richtig, mit meiner Tante zusammen. Sie hatte ihn mir als Kollegen vorgestellt. Er hatte mich offensichtlich auch erkannt, denn er kam auf uns zu. „Hallo Abby. Du möchtest bestimmt zu Alex.“ „Ja das stimmt.“ „Ich bin grade auf dem Weg dorthin. Kommt mit.“ Wir folgten ihm die vielen Treppen hinauf. Es gab zwar auch einen Aufzug, aber er zog es vor zu laufen. Ich trat etwas zögerlich hinter ihm in das Büro. Linda folgte mir. „Abby, was machst du denn hier?“ „Wir möchten mit dir reden.“ „Kein Problem. Nehmt Platz. Ihr Kollege, den sie mir als Michael vorstellte, holte noch einen Stuhl und stellte ihn neben den bereits vorhandenen in die Mitte der beiden Schreibtische. „Was gibt’s es denn, was ihr uns erzählen wollt?“ Ich wusste nicht so recht wo ich anfangen sollte. Doch ich musste ihr alles erzählen, wenn ich TBH auffliegen lassen wollte.
Ich erzählte ihr alles. Das ich durch Miriam auf TBH aufmerksam gemacht worden war; ich erzählte ihr von den Treffen, davon wie ich aufgestiegen war, von meiner Degradierung, davon dass ich erfahren hatte, dass der Guru mein Ex-Freund war, von Miriams Ermordung und von der Vergewaltigung. Sie und ihre Kollegen hörten mir schweigend zu und stellten nur wenige Fragen. Linda war ganz bleich geworden, als ich Miriams Ermordung erwähnte. „Das war sehr mutig von dir uns das alles zu erzählen.“, meinte der jüngere der beiden Kollegen. „Sekten sind sehr grausam, vor allem wenn es darum geht, dass Mitglieder aussteigen.“ Ich merkte wie mir heiß wurde und ich interessiert mich auf einmal für die Inneneinrichtung des Büros. Tante Alex gab inzwischen die Fahndung nach meinem Ex heraus. Hoffentlich war diese erfolgreich. Linda war immer noch ziemlich geschockt und auch mich hatte es ziemlich mitgenommen, all diese Ereignisse noch mal wiederholen zu müssen. Tante Alex bot sich an Linda und mich nah Hause zu fahren, da sie Miriams Eltern die schreckliche Nachricht überbringen musste. Meine Mutter war erstaunt, als ich in Begleitung von Tante Alex vor der Tür stand. „Hat sie irgendwas angestellt?“, fragte sie Alex, die sofort verneinte. Ich ging in mein Zimmer während Tante Alex meiner Mutter meine Situation schilderte. Als sie weg war, kam meine Mutter behutsam in mein Zimmer und nahm mich in den Arm. Ich konnte nicht anders. Ich schmiegte mich an ihre Brust und heulte wie ein Kind. „Das war sehr mutig von dir, Tante Alex das alles zusagen.“ Sie streichelte mir dabei behutsam durchs Haar. „Warum hast du uns nichts erzählt?“ „Ich konnte nicht.“

 Fortsetzung vom 29.01.10

 

1. Die Rache von TBH
Hallo ich bin es wieder, Abby. Ich habe mich nun einigermaßen von den schlimmen Ereignissen erholt, doch der Verlust eines Freundes lastet immer noch schwer auf mir. Ich brauchte auch noch einige Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten. Mir war plötzlich noch eingefallen, dass ich ja regelmäßig in meinem Tagebuch Eintragungen von den Treffen etc. gemacht hatte. Ich löste mich von meiner Mutter und holte es aus dem Versteck. Meine Mutter sah mich fragend an. „Hier hab ich alles von den Treffen festgehalten. Ich glaube das ist wichtig für Tante Alex.“ „Das kannst du ihr auch morgen hinbringen.“ „Warum nicht jetzt? Ich will, dass er hinter Gittern kommt. Bringst du mich hin?“ Schließlich willigte sie ein. Als wir im Büro ankamen, war sie bereits wieder da. „Claudia…“ „Hallo Alex. Abby ist noch etwas eingefallen, was sie dir und deinen Kollegen erzählen möchte.“ „Dann nimm Platz.“ Ich setzte mich wieder auf den Stuhl, auf dem ich zuvor neben Linda gesessen hatte. Meine Mutter hatte sich neben der Tür auf das Sofa gesetzt. Ich überreichte Alex das Tagebuch. „Ich habe regelmäßig Eintragungen gemacht, als ich von den Treffen gekommen bin.“ Sie nickte und schlug es auf. Sie überflog die Seite. Und blätterte ein paar Seiten durch. „Die Treffen fanden nicht regelmäßig statt.“, bemerkte sie. „Doch schon, nur ich wurde nicht immer eingeladen, da es auch Treffen nur für die Höheren gab. Die Jüngertreffen später, hatten einen anderen Rhythmus.“ „Wir werden uns später in der Ruine umsehen. Sie ist nicht täglich von den Mitgliedern belagert, nicht?“ „So genau weiß ich das nicht. Ich würde das aber eher Verneinen.“ „Was für eine Altersgruppe ist bei den Treffen anzutreffen?“, die Frage kam von dem jungen Kommissar. „Die Jüngsten sind schätze ich mal 10, die Ältesten? 18 oder 19.“ Ich konnte ihn aus irgendeinem Grund nicht ansehen. Ich betete, dass ich nicht rot werden würde. Tante Alex hielt beim Blättern inne, las eine Textpassage und sag mich an „Der Drohbrief, den du erwähnst, hast du den noch?“ „Drohbrief? was für einen Drohbrief?“ Meine Mutter war geschockt. Ich erzählte es ihr in kurzen Sätzen, eh ich mich wieder an Tante Alex wandte. „Ich glaube ich hatte ihn in mein Tagebuch gelegt.“ Sie blätterte es weiter durch und tatsächlich befand sich der Brief noch darin. Sie zog sich Latexhandschuhe an und faltete ihn auseinander. Schweigend las sie ihn, während ihr jüngerer Kollege ihr über die Schulter sah. „Wir brauchen Fingerabdrücke von dir Abby, um die abzugleichen. Geh am Besten gleich mit Branco mit.“ Der junge Kommissar, dem ich nicht in die Augen blicken konnte, stand auf und bat mich, mit ihm mitzukommen.
Wir verließen den Raum und gingen ein kurzes Stück den Flur entlang. Dann öffnete er eine Tür und wir traten ein. Der Raum war menschenleer. Ich setzte mich an einen Tisch, während er die Farbe rausholte und ein Blatt Papier, was sich als Formular rausstellte. „Hast du ein Problem damit, wenn ich dir deine Hand führe?“ Er sah mir in die Augen. Ich schüttelte den Kopf. Meine Hand zitterte, als er sie berührte und mir wurde warm ums Herz. Seine Berührung durchzuckte mich wie ein Blitz, sodass ich kurzzeitig meine Hand wegzog. „Sorry, aber Ihre Hand ist so kalt.“ Abby, spinn hier nicht rum. Die Hand ist keineswegs kalt… Nachdem er fertig war, sahen wir uns lange in die Augen. Und dann passierte es. Es war ein unglaubliches Gefühl, das ich in diesem Moment verspürt habe. Wir nährten uns einander. Ich hatte nichts mehr unter Kontrolle. Konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Dann passierte es endgültig…wir küssten uns. Lange und leidenschaftlich. Als ob wir beide einen elektrischen Schlag bekommen hätten, lösten wir uns nach einer Weile wieder. Ich mied seinen Blick. Wir saßen schweigend einige Sekunden da. Konnten nicht fassen, was gerade eben passiert war. Mein Herz schlug schnell. Ich hörte mein Blut in den Ohren rauschen. „Lass uns wieder zurück ins Büro gehen.“, unterbrach er endlich die Stille. Es war doch eben so schön gewesen. Warum benahm er sich so komisch? Hatte er ein schlechtes Gewissen, dass seine Kollegen es raus bekamen? Von mir würden sie kein einziges Wort darüber hören. Er stand auf und ich folgte ihm zurück ins Büro. „Da seid ihr ja wieder.“ Ich ließ mir nichts anmerken, dass etwas zwischen uns vorgefallen war. Ihr Kollege überreichte ihr wortlos das Formular mit meinen Fingerabdrücken. „Wenn du nichts weiter für uns hast, kannst du wieder nach hause gehen und dich ausruhen.“, sprach Tante Alex weiter. Ich wollte aber jetzt auf keinen Fall das Büro verlassen, nicht wenn er noch da war. Ich folgte meiner Mutter dennoch aus dem Büro. Auf der Rückfahrt dachte ich nur an den wunderschönen Moment in diesem kleinen Raum. Ich war verknallt und das über beide Ohren. Ich konnte mir das nicht erklären. Er war doppelt so alt wie ich. Und das gerade in meiner jetzigen Situation. Ich hatte eine Freundin verloren und wusste, dass mein Ex-Freund eine Sekte anführte und dass er ein Mörder war. Wie konnte ich mich da verlieben und das ausgerechnet in den Kollegen meiner Tante, die bei der Kriminalpolizei arbeitete?
 
Ich muss in meiner Erzählung jetzt einen Zeitsprung machen. Wenn ich dir als Leser jetzt die ganzen Einzelheiten erzähle, würde das erstens zu langweilig für dich sein, da nichts spannendes passiert ist und zweitens liegen zwischen dem eben beschriebenen Zeitraum und der Gegenwart eine Woche. Ich geh in meiner Erzählung nun auf den gestrigen, doch sehr ereignisreichen Tag ein. Einen Tag, den ich nie in meinem Leben vergessen werde. Er hatte gleichermaßen schlimme und wunderschöne Ereignisse zugleich aufzuweisen. Ich glaub ich fange am Besten mit den wunderschönen Ereignissen an:
Morgens wachte ich aus einem wundervollen Traum auf. Wenn mich jemand gesehen hätte, der wüsste sofort, dass es um mich geschehen war. Ich grinste bis über beide Ohren und war seit langem wieder glücklich (und verliebt). Zum wiederholten Male hatte ich in dieser Nacht von dem Kuss zwischen Branco und mir geträumt. Die Nacht hätte von mir aus unendlich lang sein können diesmal. Froh gelaunt wie ich war, hätte ich nie im Leben daran gedacht, dass mir etwas meine Stimmung so mies verderben kann. Nichts ahnend stand ich auf, zog mich schnell an und war auf den Weg raus aus meinem Zimmer, als mein Blick auf mein Handy fiel. „5 Nachrichten“ 5 Nachrichten? Hatte ich richtig hingesehen? Ja ich hatte. Die erste kam von Linda. Der Inhalt war nicht weiter wichtig. Die zweite war von meinem Anbieter mit dem Hinweis, dass mein Guthaben aufgeladen worden war. Bei den letzten drei SMS wurde mir ganz anders. Eine davon war eine MMS. Das Bild zeigte ein schwarzes Pferd. Es lag anscheinend reglos im Gras. Bei genauerem Hinsehen war Blut zu erkennen. Es hatte einen weißen Stern als Blesse. Die SMS waren drohend und ließen mir einen Schauder über den Rücken laufen. Ich konnte nicht fassen, dass er es zugelassen hatte. Ich hasste ihn, ich hasste ihn so sehr, wie ich noch nie jemanden zuvor in meinem Leben gehasst hatte. Wie kann ein Mensch nur so grausam sein und ein unschuldiges und sogleich hübsches Tier töten? Mir war es ein Rätsel, wie sie so schnell herausgefunden hatten, dass ich sie bei der Polizei angezeigt hatte. War es möglich, dass er mich beschatten lies? Hatte er eine Verbindung zur Polizei? Sollte ich wieder sofort in die Landshuter- Allee fahren, oder erst einmal abwarten, was noch geschehen sollte? Tante Alex hatte mir ausdrücklich gesagt, dass ich sofort kommen sollte, wenn etwas Merkwürdiges geschehen war oder wenn TBH Kontakt zu mir aufgenommen hatte. Andererseits würde ich auch Branco wieder sehen. Also beschloss ich hinzufahren.
Diesmal war er allein im Büro, wahrscheinlich, weil es noch ziemlich früh war. Mir konnte es nur recht sein. Vielleicht könnten wir da weiter achen, so wir im Büro aufgehört hatten? Vielleicht würde mein Traum wahr werden und er würde mich wieder küssen. „Oh, hallo Abby.“, begrüßte er mich. „Komm rein.“ Ich schloss die Tür hinter mir. „Ich…ich hab Drohungen von TBH bekommen.“ fing ich an, kaum als die Tür geschlossen war. „Setz dich erstmal.“ Er bot mir wieder den Stuhl in der Mitte der beiden Schreibtische an. Ich zeigte ihm die MMS sowie die SMS. Dabei rückte er so nahe an mich ran, dass ich ihn an mir spüren konnte. Mir wurde auf einmal ganz warm und auch er schien nervös zu sein. Er nahm mir das Handy aus der Hand und für einen Bruchteil eier Sekunde berührten wir uns.
Die darauf folgenden Minuten kann ich kaum in Worte fassen. Es war…so unglaublich…so…so wunder wunderschön. Ich schwärme immer noch… oh mein Gott…
Sorry, aber das musste eben sein, ich konnte es leider nicht unterdrücken. Ich versuch mich einigermaßen wieder zu beruhigen, damit ich die weiteren Ereignisse mit einem klaren Kopf erzählen kann. Er hatte sich die SMS und MMS durchgelesen. Er blickte mich mit seinen wunderschönen Augen an. Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Wir kamen uns immer näher, bis wir wieder in der Situation, wie das Mal zuvor waren. Wir küssten uns. Diesmal gab es kein halten mehr. Keine Umgebung mehr um uns herum…nur uns zwei. Es verstrich Minute um Minute, ohne das wir uns voneinander lösten. Die Drohungen waren vergessen. Nur er war es, an den ich dachte, für den mein Kopf im Moment frei war. Doch unser Glück wurde jäh gestört. Am liebsten wäre ich im Boden versunken oder hätte mich in Luft aufgelöst. In der Tür stand niemand geringeres als- Tante Alex. Erklärungen waren so gut wie zwecklos. Sie hatte uns sozusagen ´auf frischer Tat ertappt´. Branco und mir war es erst recht peinlich und ich konnte nur hoffen, dass ich nicht rot geworden war. Warum musste sie gerade in so einem Moment erscheinen? Warum ist es eigentlich so, dass Eltern oder Jemand anderes aus der Familie, die Begabung besitzt, in den ungünstigsten Momenten hereinzukommen oder in der Tür zu stehen? Branco hatte sich sofort von mir gelöst und war ans Fenster getreten. Dort stand er steif und unbeweglich und starrte auf irgendeinen Punkt an der gegenüberliegenden Häuserwand. Ich konnte Tante Alex nicht ansehen. „Ähm…ich muss noch einmal kurz zum Staatsanwalt. Ich hätt das beinahe vergessen.“ Sie drehte sich, peinlich berührt, um und ging wieder. Wir wichen uns aus. Sprachen eine Weile nicht. Lange sagte keiner etwas. Er starrte aus dem Fenster und ich auf meine Schuhe. Wir beide dachten über das soeben geschehene nach. Ich konnte es noch nicht mal glauben. Mir war das alles nicht real vorgekommen, sondern wie in einem Traum, aus dem ich jäh aufgewacht war, als Tante Alex in der Tür gestanden hatte. „Das darf nie wieder passieren.“ Ich sah auf. Er stand immer noch am Fenster, sah mich jedoch jetzt an. Ich war enttäuscht, sehr enttäuscht. „Mach dir mit uns keine Hoffnungen. Das geht nicht. Das was letzte Woche im Vernehmungszimmer passiert ist, war ein einmaliger Ausrutscher.“ Nein, nein…sag mir, dass das hier gerade alles nur ein Traum ist, ein schlechter Traum. Er hat mir gerade nicht gesagt, dass das zwischen uns nichts werden wird. Es war jedoch die Wirklichkeit. Die bittere Wahrheit, die Realität.
Nachdem ich nach einer Weile gegangen war, ohne dass er mich zurückgehalten hatte, dachte ich, der Tag könnte nicht noch schlechter laufen, doch da hatte ich mich gewaltig getäuscht. Am Abend klingelte es an der Tür und Tante Alex war wieder da. Sie wollte mit mir über die Situation im Büro reden. Ich hielt überhaupt nichts davon. „Abby, ist es schon öfters vorgekommen?“ Ich schwieg. „Wollte er noch mehr von dir?“ Ich schwieg beharrlich. „Abby…“ Mir reichte es jetzt endgültig. Es war mein Privatleben und das ging sie überhaupt nichts an. „Das geht dich überhaupt nichts an. Das ist meine Sache. Und jetzt geh…!“
Doch sie dachte nicht im Traum daran. Sie blieb hartnäckig. Mir reichte es wirklich. „HÖR ZU DAS IST MEINE P R I V A T SACHE UND ICH MÖCHTE JETZT AUF DER STELLE DAS DU GEHST!!!!!“ Sie stand auf und ging.
Ich war froh, dass sie ging! An der Tür blieb sie nochmals stehen. „Du kommst morgen um 11 zu mir ins Büro. Ich sag deiner Mutter noch Bescheid, dass sie dich hinbringen soll.“ Nee oder?? Ich starrte ihr nach. Es war doch alles so scheiße. Warum? Warum muss jetzt alles auf einmal kommen, wo es mir sowieso alles andere als gut geht? Ich hatte meine beste Freundin verloren, war von meinem Ex vergewaltigt worden, hatte mich in einen Mann verliebt, der doppelt so alt war wie ich, der noch dazu der Kollege meiner Tante war und der mir eine Absage erteilt hatte und jetzt wollte meine Tante (!) mich auch noch zur Rechenschaft ziehen. Besser gesagt, sie wollte wissen, ob es nicht noch mehr gewesen war, um ihn wohl möglich sogar anzuzeigen. Diese Gelegenheit würde ich ihr nicht bieten. Sie war mir in der letzten Woche zwar eine sehr große Hilfe gewesen, doch nun war sie nur noch lästig, wie eine dicke Fliege, die einem andauernd um den Kopf schwirrt. Vielleicht wäre es besser, abzuhauen und eventuell noch einen kleinen Brief dazulassen, in dem ich alles erklärte. Der Gedanke wäre schon verlockend, doch meine Tante war nicht doof. Meine Mutter war wahrscheinlich schon informiert, dass ich das Weite suchen würde. Ich wollte Branco auch nicht alleine dastehen lassen. Er sollte sich nicht allein vor Tante Alex rechtfertigen. Wir steckten beide da drin und ich würde zu ihm stehen. Das war ich ihm schuldig.
20 Stunden später saß ich im Auto und wurde in das Büro meiner Tante kutschiert. Weitere 10 Minuten später traf ich bereits auf sie. Sie stand mit einem Kollegen, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, am Automaten. Als sie mich sah, brach sie das Gespräch ab. „Max, passt du bitte so lange auf sie auf, während ich noch mit Branco rede?“ Ich ließ mich missgelaunt auf einen der Stühle fallen. Jetzt hatte sie mir noch einen Aufpasser (!) an die Seite gestellt. Als ob ich abhauen würde. Lassen wir die Ironie. Ich fand es einfach nur zum Kotzen. Ich versuchte meine Nervosität vor dem Gespräch mit Alex zu unterdrücken. Mein Aufpasser sollte so wenig wie möglich davon mitbekommen. Es musste ja nicht gleich die ganze Belegschaft erfahren. Doch es war unmöglich zu verhindern. Aus dem Büro waren deutlich die Stimmen von Alex und Branco zu hören, die selbst der Kollege nicht überhören konnte. Das Gespräch wurde immer hitziger: „…Sie ist meine Nichte!“ „Das weiß ich…“ „Warum hast du es dann zugelassen, wenn du es wusstest?“ „Das war nur ein einziger Ausrutscher!“ „Wenn ich dir nicht glauben würde, hätte ich dich jetzt schon wegen Verführung Minderjähriger angezeigt!“ Ich begegnete dem Blick meines Aufpassers. Er war überrascht. „Wir haben uns geküsst und das war nur ein Mal!“, antwortete ich darauf. „Dann wird er noch mal Glück haben, wenn die Interne das nicht mitbekommt, wird das auch keine Konsequenzen haben.“ Ich war halbwegs erleichtert. Die Bürotür ging kurz darauf auf und Branco kam heraus. Er warf mir einen ernsten Blick zu und entfernte sich dann schleunigst.
Tante Alex stand nun in der Tür und rief mich herein. Ich nahm wieder auf dem Stuhl platz, auf dem ich zuvor schon einige Male gesessen hatte. „Also, was war gestern genau zwischen euch los?“ „Er hat es dir doch eben schon gesagt. Es war ein einmaliger Ausrutscher, weiter war da gar nichts zwischen uns.“ „Ich möchte es aber aus deiner Perspektive wissen. Du brauchst dich nicht zu beeilen. Wir haben Zeit.“ Ich blies die Luft durch die Nase aus. „Ich war nur hier, um dir und deinen Kollegen die SMS zu zeigen, die ich von TBH bekommen habe.“ Sie nickte und frage nicht weiter nach. Anscheinend war sie davon in Kenntnis gesetzt worden. „Dann ist es halt passiert. Ein Blick hat ausgereicht und wir haben uns geküsst…bis du rein kamst.“ „Ist es schon öfters vorgekommen?“ „Ich habs dir gestern schon gesagt. Nein!“ „Es ist mehrmals passiert! Also sag mir die Wahrheit.“ „Branco hat dir doch auch gesagt, dass es ein einmaliger Ausrutscher gewesen war!“ „Ich habt mich aber angelogen. Also wie oft?“ „Das ist mein Privatleben!“ „Abby, willst du, das deine Mutter davon erfährt?“ „Du drohst mir?“ „Allerdings.“ Sie griff zum Telefon. „Es…es ist zweimal passiert.“, lenkte ich ein. „Kennt ihr euch schon länger…du und Branco?“ „Nein!“ „Ach ja, und warum nennst du ihn dann beim Vornamen? Also müsst ihr euch schon länger kennen.“ Warum musste sie jedes Wort auf die Goldwaage legen? „VERDAMMT NOCHMAL NEIN!“ „Beruhige dich! Wollte er mehr von dir?“ „Bitte?“ „Du hast mich schon richtig verstanden.“ „Mensch Alex, warum willst du von mir hören, dass er mit mir im Bett war? Ich hab in der letzten Woche so viel durchmachen müssen. Glaubst du, nachdem ich vergewaltigt worden bin, gehe ich wieder mit jemandem ins Bett? Und dass noch mit deinem Kollegen?“ „Du musst es ja nicht freiwillig getan haben. Den Kuss hast du ja zumindest sehr genossen“ Ich glaubs nicht! Da denkt sie wirklich. Ich hätte mit ihrem Kollegen geschlafen? Das wird ja immer besser! „Es war ein ganz normaler Kuss!“ „Ein ganz normaler Kuss sieht aber anders aus.“ „Gut, es war schon etwas leidenschaftlicher, aber mehr auch nicht.“ „Abby, du spielst das alles so runter. Du verharmlost die Situation. Er hätte dich auch zum Geschlechtsverkehr zwingen können. Er hätte dich vergewaltigen können!!“ „HÖR AUF! ICH HABE ERST EINE VERGEWALTIGUNG DURCH: ICH WEIß ZWAR NICHT; WIE ES SICH ANFÜHLT; ABER DER GEDANKE; ZU WISSEN; DASS MAN VERGEWALTIGT WORDEN IST; IST SCHON SCHLIMM GENUG!!!“ „Abby, komm mal wieder runter. Ich kann verstehen, wie du dich fühlst.“ „Gar nichts kannst du!“ „Abby warte.“ Ich war schon an der Tür und wollte hinaus, als er auf einmal in der Tür stand. Er sah mich an, dann Alex. „Lass sie gehen! Ich gestehe, ich hab vorhin gelogen.“ „Das hab ich von Anfang an gewusst.“ Er ließ mich vorbei und ich verließ das Gebäude.
Wo sollte ich jetzt hin? Nach hause? Timo war in der Schule. Ich war wegen Miriams Tod freigestellt worden. Ich entschloss mich kurzerhand zu Miriams Eltern zu gehen. Sie empfingen mich freundlich, obwohl aus ihren Gesichtern tiefster Schmerz zu lesen war. Sie baten mich ins Wohnzimmer, wo wir uns auf dem Sofa niederließen. Ein Foto von Miriam stand auf dem Tisch. Es versetzte mir einen Stich, sie darauf so fröhlich zu sehen. „Es tut mir so Leid, dass du alles mit ansehen musstest.“ Ich konnte nicht antworten, nur nicken. „Wir haben ihr Zimmer noch so belassen, wie es war. Wenn du möchtest, kannst du hochgehen und dir die Bilder von euch beiden mitnehmen.“ Ich nickte wieder. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich begleiten würden. Aber nur wenn Sie nöchten.“ Sie folgte mir. Miriams Zimmer vermittelte Jedem Besucher den Eindruck, dass sie ein Pferdenarr war. Und das war sie auch. Die Wände waren voll mit Pferdepostern. Die meisten zeigten Rappen oder Friesen. An einer Wand hing auch das Portrait, welches ich selbst in meinem Zimmer hängen hatte und was auch in verschiedenen Größen in der Ruine hing. Auf dem Schreibtisch hatte sie ein Foto stehen, das uns beide mit einem schwarzen Pferd zeigte. Es war vor zwei Jahren in den Sommerferien auf einem Reiterhof entstanden. Damals hatten wir noch nichts mit TBH zu tun gehabt- zumindest ich nicht. Miriams Mutter lies mich allein, sie begründete es damit, es in dem Zimmer nicht mehr auszuhalten. Mir ging es ähnlich, doch ich wollte noch das Tagebuch meiner besten Freundin mitnehmen. Sie führte es genauso wie ich. Vielleicht fand ich darin noch weitere Sachen, die Tante Alex und ihren Kollegen von Nutzen sein konnten. Als die Mutter das Zimmer verlassen hatte, holte ich das Tagebuch aus dem Versteck und steckte es ein. Miriam hatte es mir einmal anvertraut. Ebenso wusste sie, wo ich mein Tagebuch versteckt hatte. Ich würde es erst einmal selbst lesen und dann entscheiden, ob ich es Tante Alex zukommen ließ oder nicht. Du wirst dich jetzt sicherlich fragen, ob ich mich damit nicht strafbar mache. Na und? Mir ist das im Moment so was von egal. Ich steckte das Tagebuch ein und ahnte noch nicht, dass ich auf Sachen stoßen würde, die ich mir nie hätte vorstellen können. Das Tagebuch sollte mir in einigen Tagen die Augen öffnen und mir sollte klar werden, dass ich Miriam so gut wie nicht gekannt hatte. Ich steckte das Tagebuch und ein Foto in meine Tasche und ging dann wieder nach unten zu ihren Eltern die im Wohnzimmer saßen.
Ich wollte mich eigentlich verabschieden, doch sie baten mich, noch etwas zu bleiben. „Hat deine Tante schon irgendeinen Hinweis?“, fragte mich ihr Vater. Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab ihr mein Tagebuch überlassen, in dem ich Eintragungen von den Treffen gemacht habe.“ „Hat Miriam auch solche Eintragungen gemacht?“, fragte die Mutter. „Ja das hat sie.“ Ich zog es aus meiner Tasche. Sie sagten nichts dazu. Ihr Vater nahm es in die Hand und blätterte es durch. „Wie lange war Miriam dabei?“, fragte er. „Ich weiß es nicht. Länger als ich jedenfalls. Ich bin erst ca. ein Jahr dabei, ebenso wie Linda.“ „Weißt du, wer euer Anführer war?“ Ich schluckte. Ich wollte eigentlich nicht mit der Wahrheit herausrücken, aber Miriams Eltern konnte ich auch nicht anlügen. „Es war mein Ex-Freund.“, erwiderte ich. „Ich wusste es aber erst seit dem Tag, als es passiert ist, nachdem es passiert ist.“ Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich daran dachte, wie hilflos sie auf dem kalten Steinboden gelegen hatte. „Ich bin nach der Zeremonie noch einmal zurück in die Ruine gegangen und wollte den Raum wiederfinden, in dem sie zurückgelassen worden war. Ich wollte nicht, dass sie dort blieb. Ich hatte den Raum fast erreicht, als ich entdeckt worden bin. Ich wurde in den Raum hinein gestoßen und da saß er. Miriam war nicht mehr da. Ich weiß nicht, wo sie hingebracht wurde...“ „Das war sehr mutig von dir. Ich bin mir sicher, sie hätte Dasselbe auch für dich getan.“ Miriams Mutter nahm mich in den Arm und so blieb ich eine Weile sitzen. Das Tagebuch habe ich später mitbekommen.
 
2. Das zweite Gesicht
Donnerstag 17.02.2005
Heute hat Jay mich in der Schule angesprochen. Er ist in der 10. Wir hatten uns schon oft auf dem Schulhof beim Rauchen getroffen. Mir ist noch nicht klar, woher er meinen Namen weiß. Vorher hatten wir noch nie miteinander gesprochen. Es war schon seltsam, dass er mich ansprach. Ich mein, welcher Typ aus der 10. spricht schon ein Mädchen wie mich aus der 8. an? Er fragte mich, ob ich Pferde mögen würde. Ich bejahte. Auf die Frage, ob ich regelmäßig reiten würde, oder ein eigenes Pferd besitze, antwortete ich mit nein. Er bot mir an, dass ich, wenn ich wolle, mindestens einmal in der Woche mit Pferden zu tun haben könnte. Ich antwortete ihm, dass ich es mir überlegen würde. Die Pause war kurz darauf zu Ende. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um die gleiche Zeit
 
Jay ging auf unsere Schule und Miriam rauchte? Ich war neugierig, wie der nächste Eintrag lauten würde und blätterte eine Seite weiter. Ich wollte mehr über die Verbindung zwischen Jay und meiner besten Freundin erfahren.
 
Freitag 18.02.2005
Ich hielt mein Wort und traf Jay zur gleichen Zeit. Er hatte sich gerade eine Zigarette angezündet und bot mir auch eine an, die ich dankend an nahm. Ich sprach ihn darauf an, wie er zu der Tatsache gelangt war, dass ich Pferde mögen würde. „Man sieht es.“ war die knappe Antwort. Ich stutzte kurz, machte mir über diese Bemerkung jedoch keine weiteren Gedanken. Im Verlaufe des Gespräches hat er mir viel erzählt, was mich sehr faszinierte. Er selbst gehörte, wie ich erfuhr, einer Gruppe an, die Pferde buchstäblich vergötterte. Jungs, die Pferde vergöttern? - unglaublich. Er muss meine Ungläubigkeit bemerkt haben. Er bot mir an, mich, wenn die Zeit es erlaubte, mitzunehmen. Er musste aber vorher noch den Leiter der Gruppe informieren und seine Zustimmung haben. Ich bin echt gespannt, was auf mich zukommt.
 
Samstag 26.02.2005
Heute hat er mich mitgenommen. Es war ein ungewöhnlicher Ort, doch er gefiel mir. Die Gruppe war größer, als ich gedacht hatte. Es waren bestimmt über 100 Leute. Einige von ihnen trugen schwarze Mönchskleidung. Sie mussten eine hohe Stellung haben, da sie ihm näher kommen durften, als all die Anderen. Ich musste mir die Schuhe ausziehen und sämtliche Kleidung ablegen. Dann bekam ich einen weißen Mantel. Alles in dieser Gruppe war gut organisiert. Die Kleiderordnung, die Abfolge der Zeremonien, einfach alles. Jay musste ebenfalls eine hohe Stellung in der Gruppe innehaben. Das nächste Mal soll der Leiter über meine Aufnahme entscheiden. Bei jeder Aufnahme wird eine Zeremonie veranstaltet. So auch demnächst für mich.
 
Ich konnte mir durchaus vorstellen, dass Miriam dieser Ort fasziniert hat. Auf den Treffen hat sie regelrecht über diesen Ort geschwärmt. Ich las den nächstfolgenden Eintrag. Er bestand aus 11 hastig hingeschriebenen Worten:
 
Samstag 05.03.2005
Bin aufgenommen worden. Kann mich nicht mehr genau an alles erinnern.
Die Wirkung der Kerzen hatte auch sie zu spüren bekommen, wie alle Neulinge. Bis jetzt waren die Einträge nicht sonderlich interessant, da ich das Meiste aus eigener Erfahrung wusste, doch das Tagebuch enthielt noch mehr, was ich mir nicht in meinen Träumen ausgemalt hätte.
 
Samstag 12.03.2005
Heute war wieder ein Treffen angesetzt. Als ich Jay vor der Zeremonie über den Weg lief, nickte er mir nur knapp zu. Wir dürfen, in Gegenwart der Anderen, nicht zeigen, dass wir uns überhaupt kennen. Ich stehe von der Rangfolge her ganz unten. Er steht zwei Stufen über mir glaube ich. Ihn anzulächeln, oder sonst etwas, wäre ein schweres Vergehen. Soviel hatte er mir klargemacht.
Hatte ich schon erwähnt, dass die Gruppe cool ist?(mehr sag ich dazu nicht)
Ich glaub, ich weiß jetzt, warum ich mich vor einer Woche nicht mehr genau an alles erinnern konnte. Ich musste in Trance versetzt worden sein. Der Junge, der heute dazukam, (er ist älter als ich), hatte einen leeren Blick. Anders kann ich mir das nicht erklären.
 
Es ist schon eine Weile her, als ich den Eintrag vom 12.03.2005 gelesen habe. Mittlerweile bin ich im Juli angelangt. Bevor ich den Eintrag hier wiedergebe, muss ich noch etwas erklären, damit der Eintrag besser zu verstehen ist. Miriam ist vor nicht allzu langer Zeit zum Jünger aufgestiegen. Nun ist es kein Problem mehr, dass sie mit Jay kleinere Gespräche bei den Treffen führt. Das müsste ich am Anfang meiner Erzählung schon einmal erwähnt haben. So wie es mir beim Lesen des nachfolgenden Eintrages ging, so wird es dir als Leser sicherlich auch ergehen. Um ihn zu begreifen und zu realisieren musste ich ihn zweimal lesen.
 
Sonntag 24.07.2005
Gestern ist es passiert. Nach dem Treffen fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, ihm beim Versorgen der Pferde zu Helfen. Dieses Angebot konnte ich unmöglich ablehnen. Alle anderen waren schon weg, also wollte ich die Chance auch nutzen. Auf der Koppel waren bestimmt um die 10 Tiere. Allesamt bildschön und schwarz. Wir fingen sie ein, bis auf eines. Es hatte einen weißen Stern als Blesse. Jay erklärte mir, dass es Black Star hieß. Als die anderen Tiere im Stall waren, bot er mir an zu reiten. Er half mir hinauf, wobei ich eine unglaubliche Wärme verspürte, als er mich berührte. Auf Black Star ritt ich ein paar Runden auf der Koppel. Danach kam die Stute zu den anderen in den Stall. Wir fütterten und tränkten die Pferde. Es wurde allmählich dunkel. Als ich die letzte Box verriegelt hatte, stand er auf einmal ganz dicht hinter mir. Er hatte seine Hände auf meine Hüften gelegt. Ich drehte mich um und wir küssten uns. Lang und leidenschaftlich. Wir blieben danach noch lange in der Ruine und beobachteten die Sterne. Ich wünschte, dieser Tage wäre nie zu Ende gegangen.
 
Samstag 30.07.05
Heute war ich schon viel, viel früher beim Treffen. Er auch. So komme ich mehr mit den schwarzen Kuttenträgern in Kontakt. Vor jeder Zeremonie sucht der Oberste der Mitglieder ein Pferd aus, das er für die Zeremonie geeignet hält. Wird ein Mädchen neu aufgenommen, ist es ein Hengst. Ist es ein Junge, der aufgenommen wird, dann sucht er eine Stute aus.
Manchmal fragt er Jay um Rat. Das hat Jay mir einmal erzählt. In der Gruppe ist er wie ein Bruder für mich. Wir fühlen uns einander so nahe. Außerhalb der Gruppe ist er mehr als das. Wenn keiner weiter bei uns ist sind wir eins.
Das ausgewählte Pferd wird dann von ein oder zwei Kuttenträgern für die Zeremonie vorbereitet. Es wird fein herausgeputzt und die lange Mähne ordentlich gekämmt, sodass sie ein Auge leicht verdeckt. Da es vor der Zeremonie sehr nervös ist, müssen zwei der Kuttenträger es ruhig halten, während wir der Rede des Obersten folgen.
 
An dieser Stelle endete der Eintrag abrupt. Ich fand es schon erstaunlich, wie viel Miriam in fast fünf Monaten schon über TBH und die Abfolge der Treffen wusste. So schnell wie sie war ich nicht aufgestiegen und so viel, hatte ich bis heute nicht über die Gruppe gewusst, obwohl ich mittlerweile den gleichen Rang inne habe, wie Miriam ihn damals hatte. Auch ich hatte am eigenen Leib erfahren, wie Jay neue Jünger, besonders Mädchen, ausnutzte und sich dabei auf den Kodex berief, um sein Handeln auch zu rechtfertigen. Ich kann mir nun langsam denken, weshalb er so bestialisch zu ihr gewesen war. Es ging ihm mit ihr erstens zu schnell und zweitens war sie die Geliebte von Jay, der ihm sehr nahe stand. Anscheinend mochte er es nicht, wenn seine treuesten Untergebenen eine Bindung mit dem anderen Geschlecht eingehen. Oder aber Jay selbst hatte ihm den Auftrag gegeben, sie aus dem Weg zu räumen, weil er für sie schon längst keine Gefühle mehr übrig hatte und er wohl möglich befürchtete, sie könnte sie verraten. Oder aber er mochte keine Mädchen in seiner unmittelbaren Umgebung, besonders wenn sie noch jung waren. Die Antwort auf diese Frage sollte noch lange auf sich warten lassen.
 
3. Der Fremde am Grab
Ich war auf dem Weg zum Friedhof. Dort wollte ich mich mit Linda am Grab von Miriam treffen. Sie wartete schon am Tor auf mich. „Hi.“ Wir küssten uns auf die Wange und gingen schweigend und langsam den Hauptweg entlang, vorbei an einzelnen Reihen und Familiengräbern, die schon mehr als einhundert Jahre genutzt wurden. Ich wollte ihr von den Eintragungen aus Miriams Tagebuch erzählen. Aber nicht jetzt- erst, wenn wir allein waren. Linda hielt einen kleinen Blumenstrauß, den sie für das Grab besorgt hatte, fest umklammert. Wir bogen nach rechts ab. Hie und da sahen wir ein paar ältere Leute, die uns im Vorbeigehen kurze Blicke zuwarfen. Als wir in den nächsten Weg einbogen, blieb ich stehen. „Was ist?“, wollte Linda wissen. Ich deutete in die Richtung von Miriams Grab, das nur einige Reihen entfernt war. Jetzt sah sie es auch. Jemand kniete vor ihrem Grab. Als wir in der Reihe angelangt waren, erkannten wir die Person- es war Jay. Er kniete vor ihrem Grab und hatte eine schwarze Rose in der Hand. Wir standen einige Sekunden lang wie angewurzelt da und starrten ihn an. Dann sah er plötzlich auf und erkannte uns. Sein Blick blieb auf mir hängen und verfinsterte sich. „Sieh mal an, ihr wollt eure Freundin besuchen. Wie rührend. Mir kommen gleich die Tränen.“ Ich musste mich beherrschen, um nicht laut zu antworten. „Was hat sie dir getan?“, fragte ich ihn. „Was hat sie dir getan, dass du ihn nicht daran gehindert hast?“ Ein lächeln huschte über sein Gesicht. Mir wurde schlecht. Er war einfach abscheulich. „Abby, warum hätte ich ihn daran hindern sollen? Glaubst du ich hätte ihn daran hindern können?“ „Ihr habt euch geliebt! Ihr hattet eine Beziehung! Und du hättest es verhindern können, wenn du nur gewollt hättest. Er ist dein Freund! Er hätte auf dich gehört.“ „Woher…?“ „Ich habe ihr Tagebuch gelesen.“ Erneut trat ein Lächeln auf sein Gesicht. Er legte die Rose nieder und stand auf. „Abigail.“ Ich schloss eine Hand zur Faust, sodass die Knöchel weiß wurden. Ich hasste es, Abigail gerufen zu werden. „Miriam war so naiv, zu glauben, dass ich sie wirklich geliebt habe.“ „Miriam war nicht naiv!“ „Weißt du es Linda?“, fragte er. „Ich habe sie verführt. Sie war noch nicht einmal ein halbes Jahr dabei. Es hat mir sichtlich Spaß gemacht und sie ist darauf reingefallen.“ Irgendetwas brachte mich dazu ihm nicht zu glauben. Die Liebe und die Zuneigung, die er für sie empfunden hatte, waren echt gewesen. Sonst würde er nicht vor ihrem Grab knien. Noch dazu mit einer Rose in der Hand. Sein Gesichtsausdruck gefiel mir ganz und gar nicht. Sein Blick war auf einmal eiskalt. Er würde sicherlich nicht davor zurückschrecken, uns zurückzuhalten, wenn wir die Flucht antreten würden, auch nicht auf einem Friedhof. Wir standen uns ein paar Augenblicke so gegenüber. Dann drehte er sich plötzlich um und ging schnellen Schrittes auf den Hauptweg und war verschwunden. „Abby, Linda!“ Ich drehte mich um und war erleichtert Tante Alex zu sehen. “Was ist passiert?“ Ich sagte nur drei Worte: „Jay war hier.“ Der Friedhof wurde abgesucht, doch Jay war schon auf und davon. Ein Blick zu Linda genügte, um zu wissen, dass sie den Nutruf abgesetzt hatte.
Eine halbe Stunde später saßen wir im Büro. Alex suchte in der Datenbank nach Jay. Was wir erfuhren, hätten wir nicht für möglich gehalten. Er war vorbestraft, was uns nicht wirklich verwunderte. Jay Wilson hatte mit zehn Jahren seine Eltern verloren. Er kam in ein Heim, wo er Kontakt zu kriminellen Jugendlichen hatte. Mit vierzehn war er immer häufiger auffällig geworden wegen Einbruchs und Diebstahl. Mit fünfzehn war er wegen Körperverletzung erneut aufgefallen und bekam Jugendarrest. Mit sechzehn wurde er wegen Drogenmissbrauchs aufgegriffen. Wir sollten bald erfahren, dass Miriam nicht das erste Mädchen gewesen war, das geglaubt hatte, von Jay geliebt zu werden und danach grausam ermordet worden war. Ich erinnerte mich mit Unbehagen daran, wie er mich gezwungen hatte ihn zu küssen.
Ich muss zugeben, dass ich Linda sehr dankbar gewesen war, dass sie mich nicht in Gegenwart von Tante Alex oder ihren Kollegen auf Miriams´ Tagebuch angesprochen hatte. Das hätte nur zur Folge gehabt, dass unangenehme Fragen gestellt worden wären. Tante Alex hätte verlangt, dass ich ihr das Tagebuch auf der Stelle aushändigen sollte.
Über Jay Wilson sollten wir noch mehr erfahren. Über ihn, Miriam und ihre Beziehung zueinander. Auch sollten wir erfahren, was Miriam von uns, Linda und Mir, gedacht hatte.
 
Eine weitere Stunde später saß ich mit Linda auf einer Mauer im Park. Gesprächsthema war nur eines: Jay und Miriam. Ich erzählte ihr alles, was ich bisher aus dem Tagebuch wusste. Sie hörte mir zu, ohne mich zwischendurch zu unterbrechen. Als ich meinen Vortrag beendet hatte, war sie einige Sekunden sprachlos. Miriam war uns vor ein paar Monaten noch als ein ganz anderer Mensch vorgekommen. Wie eine Fremde und nicht wie eine Freundin, die man schon ein Leben lang kannte. Unfassbar war auch, dass Miriam nicht das einzige Mädchen gewesen war, dass ermordet worden war, nachdem sie geglaubt hatte, er würde sie lieben. Als ob jemand einen Film in meinem Kopf angestellt hätte, sah ich plötzlich wieder die Bilder vor mir. Erst Miriam, die reglos und starr am Boden gelegen hatte und dann Jay, wie er mir schöne Augen gemacht und ich ein Kribbeln verspürt hatte. Hätte ich seine Gefühle wirklich erwidert, wäre es mir so wie Miriam ergangen. Da hatte ich ja echt noch mal Glück gehabt. Vielleicht sollte ich das noch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Auf den Jüngertreffen hatte er mich gezwungen ihn zu küssen. Wenn es ihm nicht gefiel bzw. wenn ich mich ihm weiter widersetzte, könnte ich im schlimmsten Fall auch so enden wie sie. „Abby…Abby, alles okay mit dir?“ „Was?“ „Ob alles okay mit dir ist.“ Linda sah mich besorgt an. „Ja…alles okay.“ „Was war los??“ „Was meinst du?“ „Du warst eben völlig abwesend und hast ins leere gestarrt, so als ob…als ob du eine schreckliche Erinnerung hattest.“ „Du hast Recht. Ich…ich hab Miriam auf dem Boden gesehen…völlig…reglos. Ich hätte auch so…so enden…kön -können…“ Ich brachte nichts weiter hervor. Die Gefühle stiegen unaufhaltsam in mir empor und ich konnte sie nicht zurückhalten. Linda nahm mich hin die Arme. „Ist ja gut Süße.“ „Es…es war alles so schreck- schrecklich.“ „Wir beide sind stark und wir stehen das auch zusammen durch. Das ist das Mindeste, was wir für sie und ihre Eltern tun können. Wir werden deiner Tante helfen, damit man The black Horse hinter Gitter bringt.“ Ich nickte nur. „Komm lass uns zu dir nach Haus gehen. Da kannst du dich ein wenig erholen. Wir werden dann sehen, ob wir weiter über die beiden reden, was wir bisher wissen, oder ob wir das auf den nächsten Tag verschieben. Okay?“ Ich nickte wieder.
Meine Mutter und mein Bruder waren besorgt um mich, als Linda mich total verheult zuhause ablieferte. Doch sie beide verstanden meine jetzige Situation und ließen Linda und mich in Ruhe in meinem Zimmer. Wenn wir irgendetwas brauchten, sollten wir nur Bescheid geben. Ich holte Miriams Tagebuch hervor. Ich hatte mich entschieden, dass ich mehr über das Verhältnis von Miriam und Jay und über eventuelle interne Sachen von TBH erfahren wollte. Zusammen mit Linda las ich weiter. Vielleicht hatte Jay ihr einiges anvertraut, was er ihr nicht hätte sagen dürfen. Ein Eintrag handelte nur um Jay. Er war im Jahr 2006 verfasst worden und war uns beim Aufschlagen ins Auge gefallen. Er war mit einigen Herzen versehen.
 
Samstag 04.03.2006
Dieser Mensch ist unglaublich. Mir kommt er immer so stark vor, doch er hat eine schlimme Vergangenheit hinter sich. Seine Eltern waren Alkoholiker und er hatte sehr darunter zu leiden. Im Alter von zehn Jahren hat er kurz nacheinander beide Elternteile verloren. Die Folgen der Alkoholsucht. Jay kam ins Heim. Er machte sich bei den Betreuern unbeliebt und bei den ´anderen´ Kindern und Jugendlichen bald beliebt. Damals war er zwölf Jahre gewesen. Er war im Heim kein Einzelgänger, so wie er erzählte. Er hatte sich dort eine Art Gang aufgebaut. In den darauf folgenden Jahren kam er dann mit Sebastian zusammen, Abby´s Exfreund. Jay wurde von seiner Familie aufgenommen, als er 16 war.
Die beiden verstanden sich auf Anhieb. Hingen auch ziemlich viel miteinander rum. So wie ich es auf den Treffen mitbekam. Ich fühlte mich echt wohl dort. Die Gruppe war echt super und mir gefiel es. Aber wieder zurück zu ihm.. Ich wusste es schon ziemlich lange. Hab aber Abby noch nie was davon erzählt. Warum auch? Er war ihr Exfreund und der ging sie nichts mehr an. Apropos Abby (um jetzt mal das Thema zu wechseln), warum frage ich sie und Linda nicht auch, ob sie mit eintreten wollen? So werden wir gleich mehr Leute. Sie würde ihn sowieso nicht erkennen. Selbst ich hätte ihn nicht wieder erkannt. Er versteht es, sich zu verstellen.
 
Miriam wusste es also schon vorher und sie hatte auch nicht vorgehabt mir etwas zu sagen. Linda sah mich von der Seite her an. „Selbst ich wusste es nicht, bis du es mir erzählt hast.“ „Wie kann sie sich so verändert haben?“ „Wahrscheinlich hatte die Gruppe so einen großen Einfluss auf sie.“ „Und du meinst, die Eltern haben davon nichts mitbekommen? Das kann ich mir nicht vorstellen.“ „Abby überleg doch mal, selbst wir haben keinen Verdacht geschöpft, bis sie ein paar Trage nicht in der Schule war und dann mit blauen Flecken wiederkam.“ „Sie hatte vorher schon etwas angedeutet.“, fiel mir jetzt wieder ein. „Sie hatte Angst, als sie zu ihm gerufen wurde. Sie wollte uns nichts darüber sagen, weil sie Angst hatte, dass wir sonst auch in Gefahr wären.“ „Abby, wir sind schon in Gefahr. Seit wir vorhin Jay auf dem Friedhof getroffen haben. Wenn wir Pech haben, ist er schon bei Sebastian und hat ihm alles erzählt.“ „Warum ist uns das nicht schon früher eingefallen?“ Wir sahen uns tief in die Augen. „Weil wir noch viel zu sehr Angst hatten.“ „Ich glaub aber, dass wir hier sicher sind. Schließlich sind sie alle auf der Flucht und da werden sie es sicher nicht riskieren hier vorbei zuschauen, wo doch deine Mutter hier ist und Timo. Sobald Jemand um uns rum ist, kommen sie nicht an uns ran. Das würden die nicht riskieren.“ Ich wollte das gerne glauben, doch so sicher war ich mir dabei nicht. „Vielleicht sollten wir zu Miriams Eltern fahren.“, schlug Linda vor. „Ich war schon dort. Ihr Vater hat sich sprachlos das Tagebuch durchgelesen und durchgeblättert. Wenn er etwas gewusst hätte, wäre die Reaktion anders ausgefallen. Selbst Miriams Mutter wusste nichts davon.“ „Unsere Eltern wussten auch nicht, dass wir dort Mitglieder waren, bis...bis es passiert ist. Der Kodex schreibt uns strengste Geheimhaltung vor. Das bekommt doch jeder am Anfang eingetrichtert, dass der Kodex heilig ist und man niemals gegen ihn verstoßen darf.“ Da hatte sie recht.
Es wurde abends und Linda und ich waren allein. Timo war mit Freunden unterwegs und meine Mutter war bei meinem Vater, der sie zum Abendessen eingeladen hatte. Die Einladung war sehr ungewöhnlich von meinem Vater. Ich war schon leicht nervös, da wir beide jetzt allein waren, aber ich versuchte es so gut es ging zu überspielen und mich mit Linda abzulenken. Wir konnten jedoch nicht ausschließen, dass wir die Tage über beobachtet worden waren. Die Zeit verstrich und es wurde 23 Uhr. Ich weiß es noch so genau, da ich auf die Uhr gesehen und Linda gefragt hatte, ob sie, wenn es schon so spät sei, nicht bei mir übernachten wollte. Ich ging die Treppe hinunter, um Bettzeug zu holen. Als ich am Flurfenster vorbei kam, war weit und breit niemand zu sehen. Ich holte das Bettzeug und kam wiederum am Fenster vorbei. Auf der Straße, stand eine dunkelgekleidete Person Sie war sehr schwer zu erkennen. „Linda, kommst du mal bitte runter?“ „Was ist?“, sie kam die Treppe hinunter und sah ebenfalls auf die Straße. Ein Blick genügte, dann zog sie mich vom Fenster weg und zog mich die Treppe wieder nach oben. In meinem Zimmer verschloss sie die Tür. Dann drehte sie sich um und sah mich direkt an. „Du weißt auch was das bedeutet?“ Ja, ich wusste es. Sie hatten Jemand auf uns angesetzt. Sie waren das Risiko eingegangen.
Es blieb alles ruhig im Haus. Um etwas zu tun zu haben, bezogen wir Lindas Bett. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich unten die Tür hörte. Kurz darauf Schritte auf der Treppe. Linda und ich kauerten uns in die hinterste Ecke meines Zimmers. Linda kramte panisch nach ihrem Handy. Es lag auf meinem Schreibtisch. Sie stand ganz vorsichtig auf, um es sich zu holen. Schnell tippte sie drei Zahlen ein und wollte gerade die Wahltaste drücken, als ich sie davon abhielt. „Spinnst du?“, flüsterte sie. „Hier ist gerade ein Fremder in der Wohnung von dem wir wissen, dass er von TBH geschickt wurde. Glaubst du, die schicken uns den nur zum Spaß vorbei?“ Die Schritte kamen immer näher. Linda war panisch, genauso wie ich. Die Schritte kamen unaufhaltsam näher…und dann …verstummten sie. Die Person stand jetzt genau vor meiner Zimmertür. „Linda, ich hab genau so Angst wie du. Aber wenn wir jetzt die Polizei rufen und der Typ mittlerweile bei uns ist...ich hab Angst, dass er dann durchdreht und uns was antut. Solange wir ruhig bleiben, wird er uns bestimmt nichts tun.“ Sicher klang ich dabei jedoch nicht. Angespannt warteten wir darauf, was als nächstes geschehen würde. Doch das Warten konnte lange dauern. Es geschah rein gar nichts. Am liebsten hätte ich geschrieen, doch ich brachte keinen Ton hervor. Ich wusste nicht genau, warum ich dies tat oder was genau mich dazu bewegt hatte. Jedenfalls stand ich auf. Linda hielt mich mit der einen Hand am Arm fest, doch ich entzog ihn ihr. Sie hatte ihr Handy immer noch umklammert, um einen Notruf abzusetzen. „Abby nein!“, flüsterte sie. Ich ignorierte sie und ging langsam auf die Tür zu. „Leg das Handy weg.“, flüsterte ich. „Abby nein. Wer weiß, wer das da draußen ist und was er mit uns vorhat. Komm gefälligst von der Tür weg!“ Ich ging weiter auf die Tür zu und ignorierte sie. „Abigail!!“ Ich ignorierte sie erneut. Vor der Tür hielt ich noch einmal inne. Dann griff meine Hand die Klinke. „Abby…“ Die Andere griff zum Schlüssel. Linda war aufgesprungen und versuchte mich von der Tür wegzuzerren. Ich bewegte mich keinen Zentimeter. Wie gebannt starrte ich auf die verschlossene Tür, hinter der die Person stand. Die Hände immer noch an der Klinke und dem Schlüssel. Linda versuchte verzweifelt, mich daran zu hindern, doch ihr Versuch war vergebens. Im Nachhinein hatte ich mir gewünscht, dass ich auf sie gehört hätte.
Langsam, wie in Trance drehte ich den Schlüssel um. Ebenso langsam drückte ich die Klinke hinunter. Die Person, die vor uns stand, sah aus, wie der Tod persönlich. Wir standen wie angewurzelt da. Waren nicht in der Lage uns zu bewegen. Die Person drängte uns ins Zimmer zurück, schloss die Tür ab und steckte den Schlüssel ein. Dann wandte er sich wieder an uns. Langsam griff er an seine Kapuze und warf sie nach hinten. Vor uns stand kein geringerer als Jay Wilson. „Überrascht?“, fragte er und lachte gehässig. „Ihr dachtet wohl, ich würde euch, nachdem ich auf dem Friedhof geflohen war, in Ruhe lassen? Tja Mädels, da habt ihr gewaltig falsch gedacht.“ Er ließ sich auf meinem Bett nieder und sein Blick fiel auf das zweite Bettzeug. „Du hast vor hier zu übernachten?“, fragte er an Linda gewandt. „Sehr schön. Besser kann es gar nicht laufen.“ Er lächelte fies. Mir behagte es ganz und gar nicht. Sein Blick blieb auf mir ruhen. „Wo sind sie?“ Ich verstand nicht. „Was?“ „Die Tagebücher!“ Linda warf mir einen ängstlichen Seitenblick zu. Er beobachtete jede unserer Bewegungen. Ich hatte das Tagebuch von Miriam wieder zu meinem gelegt. „Wo sind sie?“ Wir antworteten nicht. Er stand auf, kam auf und zu und zerrte Linda auf die Beine. Er schlang einen Arm um ihrem Hals und hielt sie fest. In der Hand hielt er eine feine Spritze. Er wollte die Tagebücher um jeden Preis. „Abby, rück sie raus, oder Linda bekommt einem Ausflug ins Jenseits.“
Ich stand langsam auf und ging zu meinem Schreibtisch. Er ließ mich dabei nicht aus den Augen. „Das geht auch schneller!“ Die Nadel nährte sich bedrohlich Lindas Hals. „Abby, ztu was er sagt.“ Ich holte die Tagebücher aus dem Versteck. Er streckte mir eine Hand entgegen. Ich zögerte einen Moment. Die Nadel berührte Lindas Hals. Ich ließ die Tagebücher in seine Hand fallen. Er stieß Linda von sich weg. „Setzt euch auf die Matratze!“ Wir gehorchten. Er nahm sich zuerst mein Tagebuch vor. Das Schloss, das ich benutzte, knackte er mit einer Nadel. Er überflog einige Einträge. Bei einem hielt er inne. Ich wusste, dass es der mit Miriam war. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Anscheinend amüsierte er sich darüber, wie ich mich meinem Tagebuch anvertraut und mich bei ihm ausgeheult hatte. Als er fertig war, riss er die Seite heraus. Ich protestierte. „Wenn du glaubst, dass du den Eintrag verschwinden lassen kannst nur zu. Meine Tante weiß schon Bescheid.“ „Kluges Mädchen Abby. Miriams Tagebuch hast du ihr allerdings noch nicht anvertraut. Wolltest es selbst erst studieren. Wenn Miriam das wüsste, sie würde sich im Grab umdrehen.“ „Hör auf!“ Er ignorierte unseren Einwand. „Lasst mich euch eine Frage stellen: Habt ihr euch bei The black horse wohl gefühlt?“ Ich war ziemlich irritiert von der Frage. Das er uns diese Frage stellen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. „Schon. Zumindest am Anfang sehr.“, antwortete Linda. „Und du Abby?“ „Am Anfang war es wirklich aufregend, aber irgendwann bin ich misstrauisch geworden.“ „Das hat man gemerkt! Sebastian war nicht glücklich darüber.“ Ich ignorierte seinen Einwand. Stattdessen stellte ich ihm eine Frage. „Darf ich dir auch eine Frage stellen?“ Ich blickte ihm in die Augen, die mich herablassend ansahen. „Nur zu.“ „Warum hat er so sehr an Black Star gehangen?“ „Ich wusste, dass du das fragen würdest. Es ist eine lange Geschichte.“ Wir hingen ihm jetzt an den Lippen. „Es dauert seine Zeit. Wann kommen deine Eltern?“ Meine Mum und Timo. Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. „Ich weiß nicht.“ „Habt ihr morgen Zeit?“ Meinte er es wirklich ernst, oder steckte mehr dahinter? „Was garantiert uns, dass du uns keine Falle stellst?“ „Ich garantiere euch, dass ich euch nicht wehtun werde.“ Ich sollte morgen herausfinden, dass er diese Worte mit Bedacht gewählt hatte. Die Tagebücher nahm er mit. In dieser Nacht bekamen wir kein Auge zu. Kurz nachdem Jay gegangen war, ließen wir uns auf unseren Betten nieder. Wir waren noch total verstört von dem Zwischenfall. Wie er hergekommen war, konnte ich mir denken. Mein Ex hatte ihm natürlich meine Adresse gegeben. Wahrscheinlich hatte er das Haus die ganze Zeit beobachtet. „Abby...ich hab Angst vor morgen. Wollen wir nicht lieber deiner Tante Bescheid gegeben. Nur für den Fall, dass wir morgen nicht nach Hause kommen sollten? Ich trau dem ganzen nämlich absolut nicht.“ „Ich hab auch ein ungutes Gefühl dabei. Aber wir wollen doch beide mehr über die Beziehung zwischen Miriam und ihm herausfinden und mehr Informationen über TBH sammeln, damit Tante Alex und ihre Kollegen die Gruppe endlich festnehmen können.“ „Abby, denk an unsere Sicherheit.“
 
4. Die ganze Wahrheit um Black Star oder Warum ein schwarzes Pferd zum Zeichen von TBH wurde
Jay wollte uns nicht allein die ganze Geschichte erzählen. Wie es das Schicksal so wollte, war auch unser, wie soll ich sagen, Ex-Guru anwesend. Der Ort, wo uns die ganze Geschichte offenbart werden sollte, war, sagen wir fast so historisch, wie die Ruine. Diese wieder aufzusuchen kam nicht in Frage. Sie stand unter ständiger Beobachtung. Genau sagen, wo wir uns befanden, kann ich nicht. Ich weiß nur, dass wir eine kurze Strecke mit dem Auto gefahren waren. Bevor wir eingestiegen waren, hatte Jay uns die Augen verbunden. Der Schock, als uns die Augenbinden abgenommen worden waren und ich meinen Exfreund erblickt hatte, steckte noch immer in mir. Vorsorglich hatten sie uns gefesselt. Nur für den Fall, dass wir über reagieren würden. Jay hatte gestern nur erwähnt, dass er uns nicht wehtun würde. Gut überlegt! Nun wieder zurück, zu den wesentlichen Dingen dieses Kapitels.
Wir saßen nun gefesselt vor den beiden. „Ihr wollt also wissen, warum ich so an Black Star hänge?“ Er schritt vor uns auf und ab. „Nun gut, ihr sollt es erfahren. Wo fang ich an? Wisst ihr, Black Star ist ein wundervolles und zugleich besonderes Tier.“ Ich unterbrach ihn und sprach Jay an. „Wenn sie so besonders ist, warum wolltest du sie dann zur Opferung freigeben? Warum habt ihr sie dann geopfert?“ Ich sah wieder das Bild mit dem schwarzen Pferd und dem weißen Stern vor mir, dass auf dem Foto reglos und blutverschmiert im Gras gelegen hatte. Jay und er wechselten Blicke, bevor er fort fuhr. „Das auf dem Foto war nicht Black Star.“ „Aber…“ „Es sah so aus wie Black Star. Es war allerdings ein Hengst. Wir wollten dir damit nur Angst einjagen.“ Ich nickte abwesend. Er erzählte weiter, wie er seine Faszination für Pferde entdeckt hatte und ganz besonders für dieses eine Pferd. Er hatte von Anfang an gespürt, dass dieses Pferd eine besondere Bindung zu ihm hatte. Er selbst hatte sie großgezogen. Wie er erzählte, war es nicht einfach gewesen. Sie war schwer erkrankt und er hatte Tag und Nacht für das Leben dieses Fohlens gebetet. Anscheinend hatte er es extrem lange getan, sodass es für ihn zur Sucht geworden war. So war wahrscheinlich die ganze Sekte entstanden.
Die ganzen anderen Pferde, die sich auf der Ruine befunden hatten, waren Nachkommen von Black Star. Deshalb wurde sie auch als Leitstute der TBH-Herde angesehen. Den schwarzen Kuttenträgern war es erlaubt Black Star und auch die anderen Pferde zu reiten, weil sie ihm am nächsten stehen und weil er ihnen am meisten vertraute. Deshalb gab es auch ein Mindestalter bei den schwarzen Kuttenträgern. Das genaue Alter weiß ich nicht.
Vertrauen, pah! Als ob er zu irgendjemanden Vertrauen hat. Mir hat er doch von Anfang an nicht vertraut. Das war doch der Grund gewesen, weshalb es mit uns nicht geklappt hatte. Am Anfang war es wunderschön gewesen, doch dann hatte er Sachen von mir verlangt, mit denen ich lieber noch etwas gewartet hätte. Sebastian war in dieser Sache ein sehr ungeduldiger Mensch. Ich war lange nicht darüber hinweggekommen, als ich mich von ihm getrennt hatte. Gefühle hatte ich damals noch für ihn. Er musste zu dieser Zeit schon die Sekte geleitet haben, ich hatte nur nichts davon mitbekommen. Selbst Jay hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekannt. Er hatte mich damals nur sehr wenigen seiner Freunde vorgestellt...
„Abby, du scheinst mir gar nicht mehr zuzuhören!“ Er und Jay sahen mich fragend an. Auch Linda sah zu mir hinüber. Ich sah Sebastian an, dass es ihm nicht passte. „Wenn du mir nicht zuhörst, kann ich mir das auch sparen!“ „Ja…“ „Abby, wir machen das nur wegen dir! Und glaub nicht, dass wir die jedes kleinste Detail verraten werden, damit du zu deiner Tante rennen und ihr alles erzählen kannst.“ Etwas gereizt erzählte er weiter. Alle Pferde auf der Ruine gehörten zu TBH, aber er war nicht der Besitzer aller. Alle Pferde, außer Black Star, gehörten rechtmäßig seinem Onkel, der einen Reiterhof weit außerhalb der Stadt besaß. Das war kein konkreter Hinweis. Reiterhöfe gab es in der Umgebung einige.
Er besaß also eine ganz spezielle Bindung zu Black Star und Black Star zu ihm. Wenn das Tier nur ihm vertraute und nur ihn an sich heran ließ und nur ganz wenige Kuttenträger, warum vertraute die Stute auch mir? Warum hatte sie mir erlaubt, sie zu reiten? Hatte das Tier etwa auch so eine starke Bindung und so ein festes Vertrauen zu mir? Ich hatte ja selbst erlebt, wie sie auf Jay und einige wenige Kuttenträger reagiert hatte. Einen Einzelnen hätte sie gnadenlos zertrampelt. Waren die Kuttenträger beziehungsweise die Jünger aber zu viert und hatten Lassos dabei, konnte ihnen die Stute nichts anhaben. „Warum hat sie mich dann reiten lassen?“ Bevor ich es bemerkt hatte, war die Frage schon laut ausgesprochen. „Darüber habe ich mir auch schon nächtelang den Kopf zerbrochen. Du hängst ja ebenfalls an ihr und sie scheint dich auch zu mögen.“ Plötzlich kam mir eine Erklärung für das Verhalten der Stute. „Könnte es nicht an der Farbe der Kutten liegen, dass sie so reagiert? Ich hatte an dem Tag, als ich sie geritten bin, die schwarze Kutte an, die du mir geliehen hast.“ „Quatsch! Bei Aufnahmeprüfungen ist sie auch nicht gestiegen.“, erwiderte Jay darauf. „Da waren alle anwesend und es werden nicht immer die gleichen bei Aufnahmezeremonien eingesetzt, „Jay es reicht! Sie muss nicht alles wissen.“, ging Sebastian dazwischen. Ich hatte schon eine Erwiderung auf sein Argument. „Eben, aber nur, weil sie noch nie, soweit ich weiß, bei Aufnahmeprüfungen eingesetzt wurde. Die meisten Pferde hatten schmale Blessen gehabtl“
Linda hatte schweigend zugehört und auch jetzt saß sie stumm neben mir. Etwas mehr Unterstützung hätte ich schon von ihr erwartet. Vielleicht folgte sie anfangs nur der Unterhaltung und schaltete sich später ein. Hoffen tat ich dies jedenfalls.
Ich konnte nicht begreifen, dass aus einfachen Gebeten um ein krankes Fohlen eine Sekte entstanden ist. Allein, wenn man diesen letzten Satz liest, kommt es einem schon unrealistisch vor. Erzählte er mir wirklich die Wahrheit? „Wie kam das mit den Opferungen?“ Ich selbst hatte noch nie eine wirklich mit ansehen müssen und war auch froh darüber. Ich sah plötzlich wieder die silbernen Schüsseln mit dem Fleisch vor mir. Jetzt begriff ich auch den Sinn der Opferungen. War ich froh, dass ich nichts von dem Fleisch hatte essen müssen. „Darauf brauch ich dir glaub ich keine Antwort zu geben, da du es sicherlich schon weißt.“ „Und was war nun genau mit Miriam?“ „War dir eine Frage nicht genug? Du hast doch ihr Tagebuch gelesen! “Jay machte mich wütend. „Du hast die Tagebücher doch mitgenommen! Du hast sie erpresst!“ „Abby beruhig dich!!“ „Du wolltest die ja nicht freiwillig rausrücken!“, erwiderte Jay. „Außerdem sind Tagebücher dazu da um gelesen zu werden.“ „Aber nicht, damit du sie liest.“ Ich funkelte Jay böse an. Dabei spannte ich so enorm gegen die Fesseln, dass es weh tat.. Er kniete indes vor mir und hielt mich an den Schultern fest. „ABBY!“ Dem Schrei folgte ein Schlag…und ich war ruhig. „Jetzt reißt euch beide doch mal zusammen. So hält man das ja nicht mehr aus. Es bringt nichts, wenn ihr euch gegenseitig provoziert!“, ging Sebastian erneut dazwischen.

 

 

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